Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
Vom Netzwerk:
Holzer wusste, dass sich jedes seiner Worte in Giovanni bohrte wie ein Messer in eine offene Wunde. Und jetzt – jetzt würde er das Messer packen und kräftig drehen. Er öffnete seine Aktentasche und entnahm ihr einen Stapel Papiere. »Machen Sie sich keine allzu großen Sorgen. Noch ist es ja nicht zu spät. Flavio wird nach den Sommerferien eine Nachprüfung in mehreren Fächern absolvieren. Dort kann er seine Fähigkeiten unter Beweis stellen und die Versetzung retten. Und weil ich ihm dabei helfen möchte – Sie sehen, Ihr Sohn liegt mir wirklich am Herzen, Giovanni – habe ich einen Arbeitsplan für ihn erstellt, mit dem er es schaffen sollte.« Er schob die Unterlagen auf dem Tisch in Giovannis Richtung. »Vorausgesetzt Sie schaffen es, ihn zum Lernen anzuhalten. Die Ferien sind schneller zu Ende, als man denkt.«
    Giovanni senkte den Kopf. »Natürlich! Ich hatte ja keine Ahnung!«
    Holzer stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab und beugte sich vor. Mit zusammengekniffenen Augen fixierte er sein Gegenüber. »Sie müssen durchgreifen, Giovanni. Seien Sie strenger zu dem Jungen. Der tanzt Ihnen auf der Nase herum. Sie sind zu weich!« Er richtete sich wieder auf. »Gut. Das wäre also geklärt. Grüßen Sie Flavio von mir.« Holzer schloss die Tasche und wandte sich zum Gehen. Dann hielt er in der Bewegung inne. »Ach, da ist noch etwas. Fast hätte ich es vergessen!«
    Giovanni sah nicht so aus, als ob er noch weitere schlechte Nachrichten verkraften konnte.
    »Sie wissen, dass ich regelmäßig mit den Zuständigen des Bundesdenkmalamts zusammensitze und über die weiteren Erhaltungsmaßnahmen für die Kartause beratschlage.« Giovanni nickte stumm. »Nun, dort ist auch immer mal wieder die Rede von Ihrem Eiscafé. Es ist ja kein Geheimnis, dass es einigen ein Dorn im Auge ist, den sie gerne entfernen würden. Bisher habe ich immer ein gutes Wort für Sie eingelegt, Giovanni. Ich weiß schließlich, wie schwer Sie es haben.« Holzer ließ seinem Opfer Zeit, die Botschaft zu verstehen, bevor er zum nächsten Schlag ausholte. »Es könnte aber sein, dass auch ich mich gezwungen sehe, beim nächsten Mal gegen die Betreibung eines Klostercafés zu stimmen. Unser Land kann sich die dauernden Störungen wichtiger Restaurierungsarbeiten in seinen Denkmälern auf Dauer nicht leisten. DenkenSie darüber nach.« Holzer öffnete die Tür. »Einen schönen Tag noch, Giovanni.
Arrivederci!
«
    Giovanni bemühte sich um ein höfliches Nicken, aber Holzer konnte die Angst in seinen Augen sehen.

18
    Nele fühlte sich wie in einem bösen Traum. Wie gelähmt starrte sie auf den Mönch in der dunklen Kutte.
    »He, was soll das?« Flavio gewann seine Fassung als Erster wieder. »Mach sofort die Tür auf!«
    In diesem Moment klingelte ein Telefon.
    Es dauerte einen Moment, bis Nele begriff, dass es ihr Handy war. Sie starrte auf das Display. »Jan«, flüsterte sie. »Das ist Jan!«
    »Nun geh schon ran!« Flavio gab ihr einen Schubs.
    Nele presste ihr Handy ans Ohr. »Papa? Jan? Wo bist du? Wann kommst du wieder? Was?«
    Energisch schob sie Flavio weg, der mithören wollte.
    »Jan? Der Empfang ist so schlecht hier. Ja, ich bin noch dran. Flavio ist bei mir.«
    Sie schaute zu Flavio hoch, der mit wilden Armbewegungen versuchte, ihr irgendetwas zu verstehen zu geben.Sie zuckte nur hilflos mit den Schultern und Flavio verdrehte genervt die Augen.
    »Jan ist noch in Linz«, raunte sie ihm zu.
    »Frag ihn unbedingt nach den Zeichnungen«, flüsterte Flavio zurück.
    Nele nickte. »Jan, warte. Sag mal … was? Ach so, ja. Warte, ich habe nur eine Frage. Später? Na gut. Ich hab dich auch lieb.« Sie schaltete das Handy aus und betrachtete es verwirrt.
    »Und? Was hat er gesagt?«
    »Nicht viel. Nur dass er bald zurück ist, dann kam jemand rein und wollte ihn sprechen.« Flavio nickte, aber Nele sah den Zweifel in seinem Gesicht.
    Jan war immer noch in Linz. Er hatte dort weiterhin zu tun, vielleicht noch bis morgen, spätestens bis übermorgen. Im Moment reichte es ihr, seine Stimme gehört zu haben und zu wissen, dass es ihm gut ging. Meistens freute sie sich ja auch darüber, dass sein Beruf ihm so viel Spaß machte. Sie liebte seine Geschichten genauso wie seine Geschenke, die sie daran erinnerten, wo er gewesen war. Gepresste Blumen aus einem alten Park, Postkarten mit Innenansichten von großen Klöstern, eine vergessene Kerze von einem Altar, winzige Heiligenbildchen – kleine Dinge, die er durch seine

Weitere Kostenlose Bücher