Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
Vom Netzwerk:
Michael.«
    Sie liefen zu der kleinen Nische, und der Erzengel schaute sie von hoch oben an, das Flammenschwert fest in den Händen.
    Seine Augen schienen Missbilligung oder Zorn auszudrücken. Schnell wandte Nele den Blick ab.
    Warum hatte Holzer ihn gestern untersucht? Und was hatten die anderen Erzengel mit der Sache zu tun? Nele dachte fieberhaft nach.
    »Flavio, warte.« Sie kramte Jans Notizbuch hervor und ließ sich auf die nächste Bank sinken. Wo waren noch mal die Skizzen der Gegenstände? Hier. Ein Kelch, eine Schale oder ein Tablett, ein Engel. »Flavio, woher stammen die Sachen, die bisher gestohlen wurden? Hat mein Vater darüber nichts zu Holzer gesagt?«
    »Ich kann mich nicht ganz genau erinnern. Auf jeden Fall aus drei verschiedenen Kirchen. Ich glaube, die Silberschale wurde im Dom gestohlen.«
    »Kann es sein, dass die Sachen etwas miteinander zu tun haben?«
    »Wie das denn? Sie wurden doch an unterschiedlichen Orten aufbewahrt.«
    »Ja, ich weiß. Aber Jan hat das Flammenschwert gezeichnet. Hast du das vergessen?«
    »Jan hat
ein
Flammenschwert gezeichnet. Woher willst du wissen, dass er genau dieses hier meinte?« Flavio blieb skeptisch.
    »Das kann kein Zufall sein. Überleg doch bitte mal!« Plötzlich war sich Nele ihrer Sache ganz sicher. »Jan zeichnet die Gegenstände, die gestohlen wurden, und er zeichnet das Schwert. Und ausgerechnet dort erwischen wir Holzer?« Ein ungeheuerlicher Gedanke stieg in ihr hoch. »Glaubst du, dass Holzer vielleicht der Dieb ist?«, flüsterte sie kaum hörbar.
    »Ich traue ihm alles zu. Aber warum sollte er die Sachen stehlen?« Flavio schaute sich um. »Das Zeug mag ja wertvoll sein, aber verkaufen kann Holzer es wohl kaum. Vergiss nicht, dass er Historiker ist und mit der Polizei zusammenarbeitet. Wahrscheinlich hat ihn dein Vater auf die richtige Spur gebracht und jetzt will er die Lorbeeren allein einheimsen. Das wäre typisch für Holzer.«
    So schnell gab Nele nicht auf. »Aber warum das Schwert? Warum die anderen Gegenstände? Warum ausgerechnet diese vier?«
    Sichtlich genervt sprang Flavio auf. »Frag mich was Leichteres. Los, lass uns zur Gruft gehen. Vielleicht gibt’s da jetzt Frühstück.«
    Nele konnte es nicht fassen, dass Flavio jetzt ans Essen dachte. Nur widerwillig klappte sie Jans Notizbuch zu und folgte ihm.

16
    »Hallo, ihr zwei, kann ich euch helfen?« Obwohl es sicher nicht oft vorkam, dass so früh am Morgen zwei Kinder in der Obdachlosenunterkunft auftauchten, begrüßte die junge Frau sie freundlich. Sie trug ein geblümtes Sommerkleid unter einer gestreiften Schürze und hatte ihre blonden Haare zu einem Zopf im Nacken zusammengebunden.
    Erwartungsvoll sah sie Nele und Flavio an und legte das Messer zur Seite, mit dem sie eben noch Marmelade auf eine Brötchenhälfte gestrichen hatte. Auf einem langen Tisch rechts von ihr stapelten sich Tassen neben einer große Kanne Kaffee.
    So hatte Nele sich die Gruft nicht vorgestellt. Sie erinnerte mehr an eine Cafeteria als an ein Grabgewölbe.
    »Machen Sie das Frühstück für die Sandler?« Flavio zeigte auf die aufgeschnittenen Semmeln.
    Die Frau lachte. »Ja, und es wird Zeit, dass ich fertig werde, ich bin spät dran heute Morgen. Aber zum Glück sind viele unserer Gäste keine Frühaufsteher. Kommt ja nicht so oft vor, dass sie ein bequemes Bett für die Nacht finden.«
    »Wo schlafen sie denn sonst?« Nele konnte sich überhaupt nicht vorstellen, irgendwo anders als in einem Bett zu schlafen.
    »Nun ja, die meisten übernachten wohl irgendwo auf Parkbänken oder unter Brücken. Und wenn das Wetter schlecht ist, auch mal in öffentlichen Toiletten, Hauseingängen oder Einkaufspassagen. Aber gerade dort werden sie oft weggejagt, weil keiner sie haben will. Viel Schlaf bekommen sie also selten.« Die Frau griff zu einem neuen Glas Marmelade und schraubte es auf. »Aber weshalb seid ihr eigentlich hier?«
    »Wir müssen für die Schule ein Referat schreiben«, erklärte Flavio, ehe Nele etwas sagen konnte. »Darin sollen wir das Leben der Sandler beschreiben, und wir dachten, hier könnten wir vielleicht den einen oder anderen kennenlernen und ihn direkt befragen.«
    Nele hielt die Luft an. Ob die nette Frau ihnen das abkaufen würde?
    »Das ist ja mal eine sinnvolle Hausaufgabe.« Sichtlich erfreut griff die Frau wieder zum Messer. »Wisst ihr was? Ihr könntet mir ein bisschen helfen. Dafür erzähle ich euch ein wenig aus dem Leben der Menschen, die zu uns in die Gruft kommen. Was

Weitere Kostenlose Bücher