Holundermond
warum?
Perché non mi stai mai a sentire?
Warum kannst du mir nicht einmal gehorchen?«
Flavio zuckte zusammen. Er hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Mit fest aufeinandergepressten Lippen saß er da und guckte vor sich auf die Tischplatte.
Giovanni drehte sich wieder zum Fenster und starrte nach draußen, als Viviane vier dampfende Tassen auf den Tisch stellte. Er war viel zu aufgewühlt, um sich zu setzen. Er wollte doch nur das Beste für seinen Sohn. Wie so oft in letzter Zeit musste er an Chiara denken, Flavios Mutter.
Als sie starb, war Flavio gerade erst zwei Jahre alt. Eigentlich sollte er dankbar dafür sein, dass Flavio kaum Erinnerungen an seine Mutter hatte und sie ihm deshalb auch nicht fehlte.
Aber er vermisste Chiara immer noch sehr. Wie oft hatte er davon geträumt, ihren Tod ungeschehen machen zu können. Aber das war nicht möglich.
»Giovanni?« Viviane war neben ihn getreten und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Giovanni, komm, setz dich zu uns.« Er war versucht, ihre Hand abzuschütteln,ließ sich dann aber doch von Viviane zum Tisch führen. Der Anblick seines Sohnes zog ihm das Herz zusammen. Er wusste, es war allein seine Schuld, dass Flavio wie ein Häufchen Elend dahockte. Er hätte zu ihm gehen und ihn in die Arme nehmen müssen. Aber er brachte es nicht fertig.
»Giovanni«, Viviane schob ihm eine Tasse Kakao zu, »du kennst doch die Legende um das alte Altarbild?«
Giovanni verdrehte die Augen und schob den Kakao weg. Was sollte das jetzt?
»Giovanni?«
»Ja, ich kenne die Legende!«, rief er aufgebracht, »aber es ist eine Legende, Viviane,
una favola
, ein Märchen, weiter nichts! Und was tut das jetzt überhaupt zur Sache!« Es kostete ihn einige Mühe, seine Hand nicht wieder auf den Tisch zu schlagen.
»Es ist eine Legende, ja, aber es ist kein Märchen, Giovanni.« Viviane holte tief Luft. »Ich selbst bin durch das Altarbild gegangen. Vor langer, langer Zeit.«
Die Köpfe von Nele und Flavio schnellten hoch.
Verärgert schüttelte Giovanni den Kopf. »Viviane, bitte, fang du doch nicht auch noch mit diesem Unsinn an. Es ist doch schon schlimm genug, dass die Kinder dauernd davon reden.
Non voglio sentire piú niente
!«
»Aber das ist kein Unsinn!« Nele war aufgesprungen. »Viviane, wir haben Theophil getroffen. Ich glaube, er kennt dich. Wir sollen dich von ihm grüßen und dir sagen, Holzer hat das Schwert.«
Giovanni wollte Nele ins Wort fallen, aber Viviane legte ihm die Hand auf den Arm. »Holzer hat das Schwert?« Sie stand auf, ging zum Fenster und schaute hoch zum Himmel. »Vollmond. Ich hätte es wissen müssen. Dann ist es heute Nacht also so weit.«
»Was ist heute Nacht so weit?«, wollte Giovanni wissen. Sein Blick wanderte zu Flavio, und zum ersten Mal, seit sie zusammen in der Küche waren, schaute sein Sohn ihn an.
»Es gibt vier magische Gegenstände«, sagte er leise. »Wir wissen nicht, woher sie kommen, und wir wissen nicht, wofür sie gut sind. Aber wir haben in Holzers Büro eine alte Prophezeiung gefunden, danach …«
»Ihr wart in Holzers Büro?« Giovanni schnappte nach Luft. Wenn der Historiker das herausfand, konnte er Österreich gleich verlassen, so viel stand fest.
»Ja, wir waren in Holzers Büro«, mischte sich Nele jetzt ein. »Und wir haben die alte Prophezeiung gefunden. Holzer stammt aus der Vergangenheit, Giovanni, und er ist hier, um diese Gegenstände zu stehlen und zurückzubringen. Und irgendetwas wird passieren, wenn ihm das gelingt. Wir wissen nicht genau was, aber wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass Holzer es schafft. Verstehst du? Und Theophil muss wieder zurück, damit er Prior werden kann.«
»Theophil? Wer zum Teufel ist Theophil?« Giovanni warf die Hände in die Luft. »Und was hat das alles mit deinem Vater zu tun, Nele?«
Flavio zerrte das Notizbuch aus Neles Rucksack. »Wir glauben, dass Jan im Kloster gefangen gehalten wird. Und zwar in der Korrekturzelle.«
»In der Korrekturzelle?« Giovanni überlegte einen Moment. »Der Schlüssel für die Korrekturzelle ist seit einiger Zeit verschwunden. Es ist ja die einzige Zelle, die einen eigenen Schlüssel hat. Ich habe mich bisher nicht getraut,
Dottore
Holzer diesen Verlust zu melden.«
»Oh, es hätte Holzer sicher auch nicht besonders glücklich gemacht, wenn er gehört hätte, dass du das bemerkt hast«, sagte Flavio grimmig. »Ich weiß, wer den Schlüssel hat, ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Holzer die Korrekturzelle
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