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Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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aufgeschlossen hat.«
    Giovanni starrte Flavio an. »Du hast gesehen, dass Holzer den Schlüssel hat?« Sein Blick verfinsterte sich. »Dann könnte Jan tatsächlich in dieser Zelle eingeschlossen sein.« Giovanni sprang auf. »Ich rufe die Polizei an. Die sollen kommen und die Zelle aufbrechen.«
    Viviane schüttelte den Kopf und zog Giovanni wieder auf seinen Stuhl. »Was willst du der Polizei erzählen? Dass ein Mann aus dem Mittelalter einen Deutschen entführt und eingesperrt hat?«
    »Nein, natürlich nicht.« Giovanni schüttelte den Kopf.
    »Oder, dass ein österreichischer Historiker, der im Auftrag der Polizei ermittelt, einen Deutschen entführt und eingesperrt hat?«
    Giovanni schwieg. Es stimmte. Egal, welche Version er der Polizei erzählte, sie würden ihn für komplett verrückthalten. Und wenn sie Jan dann nicht in der Zelle fanden, dann hätte er ziemlichen Ärger am Hals. »Aber was sollen wir sonst tun, Vivianne? Hast du vielleicht eine bessere Idee?«
    »Wir werden selbst nachschauen«, mischte sich Flavio ein. »Ich kriege jede Tür im Kloster auf, auch ohne Schlüssel.«
    Die Tür aufbrechen? Giovanni knetete seine Hände im Schoß. Andererseits war das immer noch besser, als sich vor der Polizei lächerlich zu machen. Und wenn er jetzt nachgab, dann würden sie vielleicht endlich einsehen, dass diese ganze Geschichte mit Holzer und der Vergangenheit und dem Altarbild nur ein Auswuchs ihrer blühenden Fantasie war.
    Viviane stand auf. »Ich denke, das ist eine gute Idee. Du, Giovanni, gehst mit Nele und Flavio ins Kloster und befreist Jan. Zusammen müsst ihr versuchen zu verhindern, dass Holzer mit dem Schwert durch das Altarbild geht, hörst du, Giovanni?«
    Giovanni nickte benommen. Zu viel war in der letzten Stunde passiert. Er glaubte nach wie vor nicht daran, dass irgendjemand in der Lage sein sollte, durch ein Bild zu gehen, aber wenn tatsächlich Holzer hinter Jans Verschwinden und den Diebstählen steckte, wäre es ihm ein Vergnügen, den Kerl dingfest zu machen.
    »Gut.« Viviane griff nach ihrem Autoschlüssel, der auf dem Küchenschrank lag. »Ich fahre in die Stadt und hole Theophil. Wir kommen so schnell wie möglich zum Klosternach.« Sie wandte sich an Flavio. »Ich gehe davon aus, dass Theo nicht mehr in der Kirche ist?«
    Nele schüttelte den Kopf. »Er sagte, er müsse noch etwas erledigen.«
    Viviane nickte. »Ich kann mir schon denken, wo er ist. Ich finde ihn, keine Sorge. Aber jetzt beeilt euch, sonst kommt ihr zu spät.«
    »Wenn es nicht sowieso schon längst zu spät ist«, murmelte Flavio und starrte seinen Vater wütend an.
    Viviane blieb in der Tür stehen. »Es ist noch nicht zu spät, Flavio. Aber jetzt solltet ihr gehen. Johanna wartet am Eingang auf euch.«
    Giovanni wollte fragen, wer denn Johanna schon wieder war. Aber Viviane war schon zur Tür hinaus und Nele und Flavio sprangen im selben Moment auf und rannten los.

29
    In der Ferne schrie ein Käuzchen. Dann war wieder alles ruhig.
    Holzer legte eine Hand auf den verwitterten Grabstein und atmete tief durch. Bald würde dieser Stein Vergangenheit sein, nie wieder würde sein Name auf irgendeinem Grab zu lesen sein. Nur noch wenige Stunden, wenn nicht nur wenige Minuten trennten ihn von seinem Ziel. Heute Nacht endlich war es so weit. Er schaute zum Himmel. Der Mond stand hell und rund über dem Wald, so wie in der Nacht, als alles begann. Wie friedlich war es jedoch heute im Vergleich zu damals. Kein Gebrüll, kein Kampflärm störte den Schlaf der Kartause. Keine Flammen prasselten über seinem Kopf und griffen nach seiner Kleidung. Es würde ihn große Überwindung kosten, freiwillig in jene andere Nacht zurückzugehen. Holzer schloss die breite Holztür auf und betrat das Innere desKlosters. Es empfing ihn eine angenehme Stille, die aber noch in dieser Nacht von den panischen Schreien der flüchtenden Mönche, dem Läuten der Glocken und dem Krachen herunterstürzender Balken und zerberstender Scheiben durchbrochen werden würde. Ihm war seit Jahren klar gewesen, dass es eine Vollmondnacht sein musste, in der er zurückkehren würde, aber er hatte das Datum nicht gekannt. Als er gestern jedoch den vierten Evangelisten in der Kirche hatte stehen sehen, hatte er gewusst, dass jetzt die Zeit gekommen war, auf die er so lange gewartet hatte. Es war ein Leichtes für ihn gewesen, das Flammenschwert des Erzengels zu stehlen. Als von der Polizei beauftragter Historiker hatte er selbstverständlich Zugang zu

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