Holundermond
wollten. Kein Mensch wusste, dass sie hier in der Mariahilfer Kirche waren. Wenn Holzer sie schnappte, würde er leichtes Spiel mit ihnen haben. Laut stöhnte sie auf.
Flavio drückte sie hinter die Bank auf den Boden. »Was ist los mit dir?«, zischte er. »Wenn du so weitermachst, wird Holzer uns in jedem Fall erwischen, und dann finden wir deinen Vater nie!«
Nele schüttelte den Kopf. »Wir müssen ihn finden, Flavio! Sag, dass wir ihn finden!«
Flavio berührte ihr Gesicht mit seinen Fingern und wischte eine Träne von ihrer Wange. »Ja, sicher. Wir findenJan, sowie wir Holzer das Handwerk gelegt haben. Aber jetzt dürfen wir keine Zeit mehr verlieren.«
Nele nickte und biss die Zähne zusammen. Flavio hatte recht. Sie durften jetzt nicht aufgeben. Sie waren nicht mehr weit von der Kapelle entfernt. Geduckt huschten sie weiter. Nele war sich sicher, dass man ihren Herzschlag in der ganzen Kirche hören konnte.
Endlich hatten sie die Kapelle erreicht. Flavio griff nach Neles Hand und drückte sie kurz, bevor er auf allen vieren zum Ende der Bankreihe krabbelte.
»Und?«, flüsterte Nele Flavio zu. »Kannst du irgendetwas erkennen?«
»Noch nicht, aber gleich wissen wir mehr«, antwortete er leise, und bevor Nele reagieren konnte, schlich er direkt auf die Kapelle zu.
Nele presste sich die Hand auf den Mund und ließ ihren Blick immer wieder zwischen der Kapelle, dem Gang und Flavio hin und her wandern. Da hörte sie einen Fluch und kurz darauf war Flavio wieder neben ihr.
»Gib mir mal die Taschenlampe, schnell«, flüsterte er und griff nach Neles Rucksack.
»Bist du verrückt? Du kannst doch hier nicht mit der Lampe rumleuchten!« Nele versuchte, ihm den Rucksack wieder zu entreißen, aber Flavio hatte die Lampe schon herausgefischt.
»Das Schwert ist weg! Holzer war hier! Ich muss gucken, ob ich noch irgendwelche Spuren finde.« Ehe Nele ihn festhalten konnte, sprang er auf und lief wieder zurKapelle. Sie sah, wie die Taschenlampe aufleuchtete und der Lichtstrahl durch die Kapelle zuckte. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen. Dann atmete sie tief aus und lief hinter Flavio her. Sie drückte sich so dicht wie möglich an ihn, während sie versuchte, dem Lichtschein der Taschenlampe zu folgen. Es stimmte, der Erzengel stand ohne sein Flammenschwert da. Aber vom Dieb fehlte jede Spur.
»Verdammt, verdammt, verdammt!« Flavio schlug mit der flachen Hand gegen eine der Marmorsäulen. »Wir waren so nah dran!«
»Pst«, zischte Nele ihm zu. »Vielleicht ist Holzer noch in der Nähe. « Nele hatte immer noch Angst, Holzer könnte jeden Moment hinter einer der Säulen hervorkommen.
Verzweifelt drehte Flavio sich zu Nele um. »Er hat das Schwert. Verstehst du denn nicht? Was auch immer passiert, wenn er alle vier Gegenstände zusammenhat, wir können es nicht mehr verhindern. Wahrscheinlich ist er schon längst auf dem Weg ins Kloster, um sein Werk zu vollenden.«
»Ganz so schnell dürfte ihm das nicht gelingen. Ihr hättet die Prophezeiung richtig lesen sollen, dann wüsstet ihr, dass ihm hierzu noch der Ring fehlt.«
Mit einem Aufschrei fuhr Nele herum. Ein Mann trat ihnen aus dem Dunkel der Kirche entgegen.
Theophil. Hoch aufgerichtet stand er vor ihnen. Flavio leuchtete ihm ins Gesicht und für einen kurzen Moment schloss der Mönch geblendet die Augen.
»Nimm das Licht weg!«, donnerte er. »Ich weiß zwar nicht, was ihr mit der ganzen Sache zu tun habt«, fuhr er fort, »aber euch ist hoffentlich klar, dass Bruder Stephanus sich kaum von zwei Kindern aufhalten lässt.«
»Bruder Stephanus«, murmelte Flavio. »Also hatten wir recht.«
Theophil runzelte die Stirn. »Was wisst ihr von der Prophezeiung? Und was wollt ihr hier?«
Ängstlich sah Nele Flavio an. Konnten sie Theophil vertrauen? Sie hatten doch keine Ahnung, in welchem Verhältnis der Mönch zu Holzer stand. Was, wenn Theophil ein Handlanger Holzers war? Auch Flavio wirkte unsicher.
»Ich habe euch etwas gefragt!«
Wieder staunte Nele über die Verwandlung, die mit dem Mönch vor sich gegangen war. Seine Stimme duldete keinen Widerspruch.
Nele versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie wusste nicht mehr, was sie fühlen sollte. Angst? Traurigkeit? Sie dachte an Jan. Hoffentlich war er noch am Leben! Sie hob ihren Blick und sah Theophil an, als könnte sie eine Antwort auf ihre Fragen in dem unbewegten Gesicht des Mannes finden. »Wir waren in Holzers Büro«, stieß sie leise hervor.
»Was hattet ihr dort zu suchen?«
Da
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