Holundermond
unter Kontrolle, während er in seiner Jackentasche nach dem Schlüssel für die Korrekturzelle suchte, die Tür aufschloss und Flavio vor sich her in den dunklen Raum stieß. »Was hattet ihr hier zu suchen?« Holzer hatte ihn an der Jacke gepackt und schüttelte ihn.
»Nele wollte nur mal eine richtige Mönchszelle sehen.«
»Aha, und da habt ihr euch ausgerechnet diese hier ausgesucht, statt euch gleich am Anfang des Ganges einevorzunehmen. Und noch dazu mitten in der Nacht, damit deine Freundin auch so richtig viel erkennen kann?« Holzer griff Flavio fester und zog ihn dicht an sein Gesicht. »Sag mal, für wie blöd hältst du mich eigentlich?« Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Hör auf, mich anzulügen! Was habt ihr hier gesucht? Oder sollte ich besser fragen, wen habt ihr hier gesucht?«
Flavio versuchte, sich loszureißen, aber Holzer packte ihn nur noch fester.
»Antworte mir.«
»Wir … wir …«
Holzer versetzte ihm einen Stoß und Flavio fiel auf die Pritsche an der Wand. »Flavio Giordanetto. Es ist doch immer das Gleiche mit dir. Ob in der Schule oder hier. Du bist und bleibst dumm. Nicht mal auf eine ganz einfache Frage kommt eine vernünftige Antwort. Was hast du nur in deinem Kopf?«
»Ich habe mehr im Kopf, als Sie ahnen«, fauchte Flavio ihn an. »Ich weiß von dem Altarbild in der Kirche und Ihrem Portrait darauf. Ich weiß auch, warum Sie mit aller Macht verhindern wollten, dass das Bild restauriert wird.«
Flavios Stimme überschlug sich.
Holzer wandte ihm den Rücken zu, um sein Entsetzen zu verbergen. Er hätte diesen Jungen längst aus dem Weg räumen sollen.
»Ich weiß von den Diebstählen. Und ich weiß, wo das Flammenschwert des Erzengels aus der Mariahilfer Kirche ist«, schleuderte Flavio ihm wütend entgegen.
Holzer drehte sich um und sah, wie Flavio einen Blick auf das Paket unter seinem Arm warf, bevor er verstummte.
»Hör mal, Bürschchen«, langsam ging Holzer auf ihn zu, »es ist verdammt schade, dass du in der falschen Zeit geboren wurdest. Die Prügelstrafe haben sie ja leider abgeschafft. Als dein Lehrer hätte ich dich für deine Unverschämtheiten sonst mit dem größten Vergnügen windelweich geprügelt.«
Flavio kroch auf der Pritsche rückwärts und drückte sich an die Wand. »Ich weiß auch von der Prophezeiung und den vier Elementen, die wieder zusammengebracht werden müssen.«
Für einen kurzen Moment verlor Holzer die Fassung. Damit hatte er nicht gerechnet. Dieser dreckige kleine Italiener war ihm von Anfang an zuwider.
»Was genau versprechen Sie sich eigentlich davon? Reichtum? Ewiges Leben?«, höhnte Flavio.
Holzer ging einen weiteren Schritt auf ihn zu. »Halte den Mund.« Nur mühsam konnte er sich noch beherrschen, diesem Knaben nicht auf der Stelle den Hals umzudrehen.
»Haben Sie sich nie gefragt, warum gerade jetzt die vier Evangelisten restauriert werden müssen? So kurz, bevor Sie am Ziel sind? Und das Flammenschwert …«
»Was weißt du von dem Flammenschwert?« Holzer versuchte gar nicht erst, die Anspannung in seiner Stimme zu verbergen. Flavio wusste viel. Zu viel.
»Sie glauben, irgendjemand wird Sie entschädigen. Wird Sie belohnen, wenn Sie nur dieses goldene Ding besorgen.« Flavio lachte.
»Sei still«, fauchte Holzer.
»Gehen Sie zurück in Ihre Zeit, Holzer. Und ich verspreche Ihnen: Nichts wird geschehen, gar nichts. Die Türken werden kommen und dann werden Sie jämmerlich verrecken. Soll ich es Ihnen beweisen? Ich habe Ihr Grab gefunden. Dr. Stephan Holzer! Pah! Bruder Stephanus. Stephan A. Holzer. Gestorben im Jahr 1683. Die Türken haben Sie umgebracht!«
Holzer holte aus und gab Flavio eine so kräftige Ohrfeige, dass er mit dem Gesicht gegen die Wand knallte. Schützend hob er die Arme über den Kopf und wimmerte.
Holzer zerrte Flavio von der Pritsche und stieß ihn auf den Boden. Er zerrte die Decke von dem provisorischen Lager und warf sie hinter sich. Dann hebelte er mit seinem Messer ein Brett aus der Pritsche heraus, das nur lose zwischen den anderen Brettern gelegen hatte. Seine Gedanken überschlugen sich. Was, wenn es ein Fehler war zurückzugehen? Wäre es nicht besser hierzubleiben? Was aber würde sein Auftraggeber sagen, wenn er nicht zum vereinbarten Zeitpunkt erschien? Und, was viel wichtiger war, wie würde dieser reagieren? Holzer war klar, dass er es nicht einfach so hinnehmen würde, wenn er ihre Vereinbarung nicht einhielt. Er hatte sich Holzers Finger als Pfand genommen, er
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