Holundermond
allen Wiener Kirchen, notfalls auch mitten in der Nacht. Das Verschwinden der anderen Gegenstände hatte allerdings für mehr Aufsehen gesorgt, als ihm lieb gewesen war, deshalb hatte er sich bei dem Diebstahl des Schwerts immer wieder zur Geduld ermahnt, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das war nicht immer einfach gewesen. Dieser Deutsche war in seinen Plänen nicht vorgesehen gewesen und hätte sie fast durchkreuzt. Schon im letzten Sommer hatte Jan Wagner hier im Kloster herumgeschnüffelt und er, Holzer, war entsetzt gewesen, als ihm klar geworden war, wie nahe Wagner seinem Geheimnis gekommen war. Deshalb hatte er versucht, ihn noch vor seiner Ankunft in Wien zu beseitigen. Aber dieser Pfuscher, den er beauftragt hatte, war kläglich gescheitert. Und zu allem Überfluss hatte Wagnerauch noch seine Tochter mitgebracht. Das hatte die Sache nicht einfacher gemacht. Um alles musste er sich selbst kümmern. Aber von dem Deutschen drohte jetzt keine Gefahr mehr. Der würde in der Vergangenheit verrotten.
Und die Kinder? Nun, in wenigen Stunden schon würden ihn die beiden nicht mehr interessieren. Und wenn er zurückkäme – und dass er zurückkommen würde, davon war Holzer überzeugt – dann würde er den Bälgern eigenhändig den Hals umdrehen, wenn es sein musste.
Eine Tür klapperte. Holzer blieb stehen und horchte in die Dunkelheit. Da war wieder das Geräusch. Irgendjemand war im Kloster.
Von der anderen Seite des Ganges kamen Schritte. Leises Gemurmel war zu hören. Jetzt stoppten die Schritte. Dann sah Holzer einen Lichtkegel über die Wände auf sich zukommen. Er fluchte innerlich. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Am liebsten wäre er gleich zum Altarbild gegangen, aber es gab da etwas, das er unbedingt holen musste. Und noch hatte er auch das Zeichen nicht erhalten. Das Zeichen, auf das er seit Jahren wartete.
»Bleibt mal kurz stehen!«
Holzer hörte die Stimme und erstarrte. Er hätte es sich denken können. Die Kinder. Das war eindeutig die Stimme dieses Italieners.
»Was ist los?«
Das war das Mädchen. Die Kinder sprachen sehr leise, aber in der Stille konnte er jedes Wort verstehen.
Was hatten diese Gören ausgerechnet jetzt hier zu suchen? Und wie waren sie überhaupt in das Kloster gekommen?
Holzer wartete kurz und beobachtete, wohin der Lichtstrahl der Taschenlampe wanderte.
»Sind wir im richtigen Gang?«
»Ja, wir sind gleich da. Nur noch um eine Ecke. Da vorne ist die Zelle!«
»Psst! Nicht so laut!«
Holzers Hand schloss sich fester um das Schwert, das er in ein Stück Tuch gewickelt hatte, um es nicht aus Versehen zu beschädigen. Langsam und so vorsichtig wie möglich näherte er sich der Zelle, vor der er die Kinder vermutete.
»Kriegst du sie auf?« Noch eine Mädchenstimme. Aber diese kannte er nicht. Wie viele Kinder trieben sich denn hier herum? Er ging schneller.
»Was war das?«, hörte er das andere Mädchen fragen. »Ich glaube, da waren Schritte.«
»Hör auf, dauernd Gespenster zu sehen, und leuchte mir lieber.«
Holzer bog um die Ecke und sah Flavio an dem Türschloss der Korrekturzelle herumfummeln. Warum hatte er nicht daran gedacht, seinen Revolver mitzunehmen? Du bist ein Idiot, Stephan Alexander Holzer. Bist dir deiner Sache schon zu sicher gewesen. Lautlos griff er in seine Jackentasche und zog ein Messer heraus. Mit einem leisen Klicken schnappte es auf.
Das Geräusch ließ die Kinder herumfahren. Für einen kurzen Moment schienen sie wie erstarrt, dann schrie Nele: »Lauft!«, und zerrte das fremde Mädchen mit sich, das vor Schreck die Taschenlampe fallen ließ.
Flavio richtete sich auf und wollte hinter den beiden her, als Holzer ihn am Kragen zu packen bekam.
Flavio wand sich unter seinem Griff, trat um sich, doch Holzer war stärker. »Lassen Sie mich los! Lassen Sie mich sofort los!«
»Den Teufel werde ich tun. Hör sofort auf zu schreien, sonst benutze ich das hier.« Holzer drückte ihm die Klinge des Messers an die Kehle und spürte, wie Flavio die Luft anhielt. »Ich habe mir von dir wirklich lange genug auf der Nase herumtanzen lassen. Hat dein Vater dir nicht ausdrücklich verboten, das Kloster je wieder zu betreten?« Er schnappte sich Flavios Arm und drehte ihn auf den Rücken. Flavio stöhnte laut auf und krümmte sich vor Schmerzen. »Aber das verspreche ich dir. Damit ist jetzt ein für alle Mal Schluss. Du und deine kleine Freundin, ihr werdet mir nicht mehr in die Quere kommen.« Er hielt Flavio mit einer Hand
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