Holy Shit
Die Piratenpartei löste manchen Shitstorm, wie man heute sagt, aus, aber auch sonst brausen diese mit Macht durchs Netz, besonders bei Diskussionen über Themen wie deutsche Identität, Islam, Israel, Ausländer, Banken- und Eurokrise, Politiker oder Korruption. »Nichts Neues!«, werden Sie vielleicht sagen. Sie haben recht! Höchstens die Geschwindigkeit hat sich verändert, mit der sich ein solcher Shitstorm ausbreitet, und die Tatsache, dass mehr Menschen wahrnehmen können, was Wüteriche so zusammenschrei(b)en.
Als Emile Zola 1898 mit seinem offenen Brief »J’accuse …!« in die Affäre Dreyfus eingriff, folgten wütende Beschimpfungen in Zeitungen binnen Stunden – damals erschienen nicht selten drei Ausgaben am Tag. Hasserfüllte Briefe folgten, öffentliche Demonstrationen, Fensterscheiben gingen zu Bruch. Der Tenor seiner Gegner: »Zola soll sterben!«, »Italienisches Dreckschwein«, »Verräter«, »Gekaufter Judenfreund«. Karikaturen stellten ihn als Schwein dar, das mit »Künstlerscheiße« eine Karte Frankreichs beschmiert. Verglichen mit diesem Shitstorm wirken die Affären um Charlotte Roche oder Thilo Sarrazin schon fast harmlos, denn der Hass der Privatleute verknüpfte sich damals mit dem Hass der Medienmeute bis zu einem Quasibürgerkrieg.
Schlimme Beleidigungsstürme erlebte auch Heinrich Böll. Als der 1972 im Spiegel einen Aufsatz über die RAF-Terroristen und die damalige Medienhysterie veröffentlichte, provozierte schon allein der von Redakteuren gewählte Titel »Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?« waschkörbeweise Hassbriefe und zahllose Hassanrufe bei Böll. Die Medien trugen dazu bei, Bölls Äußerungen polemisch zu verzerren: In der Tagesschau faselte Kommentator Ulrich Planitz, Böll sei »Anwalt der anarchistischen Gangster« und »salon-anarchistischenSympathisanten«, und im ZDF-Magazin wurde Böll von Gerhard Löwenthal zu einem »Sympathisanten dieses Linksfaschismus« erklärt, der »nicht ein Deut besser als die geistigen Schrittmacher der Nazis« sei.
Wie man heute im Internet Dampf ablässt und seinen Ressentiments freien Lauf, soll ein kleiner Ausschnitt aus 1418 Kommentaren zu einem harmlosen Scherz belegen, den man als »Deutsch-türkische Nationalhymne« bei YouTube findet ( http://www.youtube.com/watch?v=hPdNG7xRReIZ ). Der Originaltext der deutschen Hymne wird da, von türkischer Musik begleitet, im typisch orientalischen Gesangsstil vorgetragen.
Die Wut der Kommentierenden auf diesen Witz kennt kaum Grenzen, ihre Orthographiefreiheit auch nicht:
»drecks muchels -.-
wie kann man nur unser hymne und die flage so versaun??? in schweineblut sollt ihr schwimmen ihr pisser!!!«
»alter seid ihr eigentlich behindert oder was wenn ihr deutschland nicht mögt verpisst euch einfach ihr assozialen schmarotzer. und wenn der uhrheber diese liedes es nicht sofort löscht bekommt er auf ’s mauel.«
»wäre diser Hund nicht schneller gewesen wäre ich dein Vater. also pass auf was du zu deim ›Fast‹ Vater sagst hahahahhahah ich komm mit Italy Mafia und schlag deine Kopftuch mami. ihr seid so erberlich, die itaken waren die ersten hier und wir kommen auch gut mit den deutschen klar, ihr nevt geht sterben ich komm mit en paar türken gut klar aber die die sich nicht intrigriren wollen sind Bastardos. also viel spaß beim Pferde wixxe trinken ( Auch bekonnt als Ayran);) Bämm Gegeben =)«
»Tot euch Hatern! Arrrrrrrraaaaaaaaaaaaa!«
»du scheis mistgeburt ich bin echt kein nazi ich bin selber aussländer ( ITALY 4 LIFE XD) aber des ich scheisse man ihr würdet es au nicht gut finden wen man die hymne von türkei verarscht würdest du au nicht lachen alter und eh seifroh das die deutschen uns über haupt aufnehmen (grazie) culo!!!«
»Das Lied ist gresslich bald werden wir von den Türken aus Deutschland verjagd!!!«
»ihr scheiß kartoffeldeutschen oida!
unser döner fickt eure currywurst ihr spastis!
beni fahise yalamak«
»ICH FICK DEIN LEBEN WENN ICH DICH SEHE DU BASTARD«
»Das ist wiederlich!!!! Das ist eine beleidigung! Aber von euch Eselfickern kann man nichts gutes erwarten.«
»du spaßt setzt es raus sonst singen wir bald eure hymne auf DEUTSCH MIT Bayrischer stimme!«
»sowas hasse ich an euch drecks scheiss esel ficker…«
»was ist ein unbeschnittener penis??? ein hans schwanz«
Ende der vergleichsweise »höflichen« Kommentarliste.
Politiker, die sich zu kontroversen Themen äußern, könnten tausende schlimmerer Beispiele
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