Holy Shit
quälenden Scham.
Ohne das Syndrom zu verharmlosen, betonen Betroffene ganz zu Recht die durchaus unterhaltsame und komische Seite ihres Daseins. Im Dokumentarfilm Tourettes. I Swear I Can’t Help It beispielsweise hört man außer den häufig ausgestoßenen Normalflüchen »Fuck off!«, »Fuck it!« das schon ungewöhnlichere »I am a chicken fucker.« und eine fast schon rührend altväterlich klingende Verwünschung wie »Goddam Queen of England and Ireland!«
Auf der sehr empfehlenswerten Site www.tourette.de stößt man auf vielfältige Informationen und unterhaltsame dazu, die es ermöglichen, nicht über, sondern mit den Tourettlern zu lächeln und zu lachen. Beispielsweise erfährt man von N., dass es neben dem Fluchen auch die Imitation von Tiergeräuschen gibt: »Ich miaue manchmal und meine Katze findets Klasse! J Ich: ›miau‹ – Katze: ›miau‹ – Ich: ›miauau‹ – Katze: ›miauuuu‹.« Und ein weiterer Betroffener erzählt augenzwinkernd: »also bei mir war tourette auch schon für was gut 1. bin ich wegen tourette bei der bundeswehr ausgemustert worden und 2. hab ich mal meinem chef die faust gezeigt (der hat mich da tierisch aufgeregt ^^) und hab dann nur gesagt ›oh sorry chef, aber du weist ja … tourette und so‹.«
Verdammte Umleitung. Euphemismen und andere Vermeidungsstrategien
Die Menschen halten Gott und Teufel offensichtlich für dämlich. Sie glauben seit Jahrhunderten, man könne mit geringfügigen Abwandlungen verbotener Wörter das göttliche Fluchtabu umgehen und die Gefahr teuflischer Heimsuchung vermeiden. Wie blöd, zum Deixel, ist das denn! Dass hier der Ausdruck »Teufel« gemeint ist, liegt auf der Hand, doch auch bei »Zum Kuckuck!«, »Zum Geier!« oder »Dass doch der Gottseibeiuns dreimal dreinschlag!« ersetzen wir den Teufelsnamen nur. Man will kraftvoll fluchen, aber nicht, dass der Teufel angerannt kommt.
Ähnlich sieht es in den Fällen »Sapperment« und »Sackelzement«, »Sakra!« und »Sakradie!« aus. Hier vermeidet man bauernschlau, das heilige »Sakrament« zu nennen. Bei »Zefix!« verkürzt man das religiös bedeutsame »Kruzifix«, das auch in »Kruzitürken!« anklingt und hier durch den Hauptfeind der Abendländer über Jahrhunderte noch gesteigert wird.
Mit Hilfe solcher Umformungen will man Gotteslästerliches zwar im Munde, Gott und seine irdischen Stellvertreter oder den Teufel aber in die Irre führen. Gleiches gilt für Tabuwörter, die man durch ähnliche oder andere Begriffe ersetzt: »Leck mich am Aaaarm.«, »Du kannst mich mal … bei Mondschein besuchen!«, »Du Sau …berer Mensch!«, »Faaack …sgerät!«. Selbst das alte »Potzblitz!« hieß früher einmal »Gotts Blitz« und war eine Verkürzung, »soll dich treffen!« ließ man einfach weg. Und der »Armleuchter« bezeichnet zwar einerseits ein kleines Licht im Geiste, teilt aber nicht umsonst die ersten zwei Buchstaben mit einem schlimmeren Schimpfwort. Dass jemand abgekratzt ist oder einfach tot, formulieren wir auch lieber feiner, wie die meisten wissen, die schon mal mit Traueranzeigen oder dem Verfassenvon Beileidsschreiben zu tun hatten.
Die sogenannten Hüllformeln sprießen hier besonders, als machten sie den Tod weniger furchtbar: dahinscheiden, sich zu seinen Vätern versammeln, das Zeitliche segnen, fallen (bei Soldaten), nicht mehr sein, dahingegangen sein, ins Paradies eingegangen, Gott hat zu sich gerufen und so weiter und so weiter. So groß ist die Ehrfurcht dem Tod und den Toten gegenüber, dass man nicht einmal mehr über sie schimpfen sollte. Die alten Römer rieten bereits: »De mortuis nil nisi bene«, »Über die Toten nichts, wenn nicht Gutes«.
PS Ein Kuriosum, ein Triumph des Euphemismus bleibt nachzutragen: die Koseformen! Mit wenig Aufwand verwandeln sie einen Kraftausdruck in ein Schmeichelwort. »Du Affe!« klingt in der Verkleinerungsform – den entsprechenden Ton dazugenommen – wie eine zärtliche Anrede: »Mein Äffchen!« Bei »Ferkel!« und »Süßes Ferkelchen!« geht es ähnlich einfach, wobei hier das Eigenschaftswort noch ein Übriges tut, alle negativen Ideen zu vertreiben. Wer die Kontaktanzeigen im Netz oder in Zeitungen studiert, kommt gleichwohl aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie oft da »Scheißerchen«, »Schleimschnecke«, »Stinkstiefelchen« und noch schlimmere Ausdrücke in unverkennbar liebevoller Weise zu Kosenamen mutiert sind. Die Macht der Gewohnheit und der Ton: Sie vermögen – wie die Liebe –
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