Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Holz und Elfenbein

Holz und Elfenbein

Titel: Holz und Elfenbein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya T. Heinrich
Vom Netzwerk:
weil die Orgel laut registriert war, hieß dies noch lange nicht, dass es dadurch automatisch besser klang.
    »War das jetzt besser?«
    Alexis stand von seinem Platz etwas abseits des Spieltisches auf, von wo aus er die Manuale und das Pedal gleich gut im Blickfeld hatte.
    »Spiel es nochmal, aber langsamer«, riet er und blätterte die Noten um. »Hier fang ab Takt sechzehn an. Achte hauptsächlich mehr auf den Rhythmus und lass das Pedal am besten noch weg, dann wird es dir leichter fallen.«
    Dann drückte er die Register, schaltete sie aus bis nur noch der Prinzipal übrig war.
    »Darf ich es nicht lauter spielen?«, murrte sein Élève.
    »Zum Schluss nochmal.« War ja nicht nötig, dass die Nachbarschaft sich noch in ihrer Mittagsruhe gestört fühlte. Alexis kannte dies nur zu gut aus seiner eigenen Jugend. Die Versuchung eine Orgel voll auszuspielen und dies möglichst so laut, dass selbst der Boden der Empore zu vibrieren begann, war sehr mächtig. Allerdings wurde es weniger vergnüglich, wenn sich die Nachbarn beschwerten und mit einer Anzeige wegen Ruhestörung drohten.
    Während Alexis mit halben Ohr den erneuten akustischen Misshandlungen zuhörte, dachte er an Federico - wie so oft in den letzten Wochen. Seit er aus Prag zurückgekommen war, hatte sich Federico irgendwie komisch verhalten. Alexis vermochte nicht genau zu beschreiben, was sich an dem Pianisten verändert hatte, aber irgendetwas war anders. Federico schien es regelrecht peinlich zu sein ihm in die Augen zu blicken. Auch beim Fechttraining schien er ihm auf subtile Weise aus dem Weg gehen zu wollen. Auch wenn Alexis sich das Hirn zermarterte, woran dieses Verhalten wohl liegen mochte, er kam zu keiner Lösung. Zumindest hoffte er, dass er nicht der Auslöser war. Vielleicht sollte er das nächste Mal Claude danach fragen. Schließlich wohnten die beiden zusammen und Alexis vermutete stark, dass Claude mit Sicherheit wusste, was vorgefallen war. Womöglich hatte Lucrezia wieder Ärger gemacht oder... Alexis verzog den Mund zu einer säuerlichen Grimasse und dieses Mal war es nicht dem Spiel seines Orgelschülers geschuldet. Hatte Claude etwa Federico gegenüber Andeutungen gemacht? Alexis hatte kein Wort darüber verloren, dass er in Federico verliebt war, jedoch traute er sich mittlerweile selbst nicht mehr und hatte sich möglicherweise verraten als er mit Claude gesprochen hatte.
    Auf jeden Fall ging ihm dieses Hin und Her gehörig auf die Nerven. Alexis befand, dass er lange genug gewartet hatte. Er sollte endlich Klarheit schaffen, er schuldete es sich selbst und Federico irgendwie auch.
    Federico mochte ihn auf eine gewisse Weise, das war unmissverständlich. Alexis hätte kein gutes Gewissen, wenn sie sich weiterhin treffen würden und ein jeder andere Erwartungen hatte. Gut, dazu musste er sich erst einmal wieder mit Federico treffen können. So wie der Pianist momentan drauf war, konnte Alexis da lange warten.
    › Nein, genug jetzt‹, wies er sich selbst zurecht und konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe seinem Schüler etwas beizubringen. So wenig Früchte diese Bemühungen vielleicht auch tragen würden.
    Endlich war die Stunde dann auch vorbei und Alexis war alleine in der Kirche. Er streckte sich und atmete befreit aus, jetzt würde er selber noch spielen. Wie er diese Atmosphäre und Stille liebte! Es gab nur ihn, die Orgel und das alte Gebäude der Kirche mit dem mehrere Jahrzehnte alten Holzfußboden, der von Zeit zu Zeit knarrende Geräusche von sich gab und so den Eindruck erweckte, dem Gebäude wohnte etwas Lebendiges inne.
    Schnell hatte er seine Jacke aus- und die Orgelschuhe angezogen. Keine zwei Minuten später saß er bereits vor den Manualen und ließ die Finger über die Tasten tanzen. In Prag hatte er sich vornehmlich mit den Werken der französischen Romantik beschäftigt. Diese Stücke hatten wieder einen ganz anderen Reiz als die barocke Musik eines Bach oder Händel. Vielleicht war es dieses gewisse Maß an Schwärmerei und unterschwelligem Schmerz, der ihn gerade jetzt so sehr an dieser Musik faszinierte. Das Verzehren, das sich einstellte, sobald man erkannte, dass das Objekt der Schwärmerei im Grunde unerreichbar blieb. Es passte zu sehr auf seine eigene Situation.
    Nachdem er mit einer, wie er fand, recht passablen Leistung das Finale von Viernes erster Orgelsymphonie beendet hatte, hörte er wie jemand die Treppe zur Empore emporstieg. Hoffentlich war es keiner der Anwohner, Alexis hatte zum

Weitere Kostenlose Bücher