Holz und Elfenbein
schmiss lautstark einen Schlüsselbund ins Eck und Federico hörte wie die Tür wieder ins Schloss fiel. Dies war Claude, sein Mitbewohner. Die Schlafzimmer in diesem Teil des Wohnheims besaßen keine eigene Kochnische, so dass je zwei der Zimmer durch eine kleine Küche miteinander verbunden waren.
»Natürlich, du bist hier!«, Claude stieß die Tür auf und knipste erst einmal das Licht an, denn Federico hatte es vorgezogen im Halbdunkel zu liegen. »Wieder einmal schwer damit beschäftigt dich selbst zu bemitleiden?«
Federico antwortete nicht. Er kannte Claude Debière schon seit den ersten Tagen, die er hier in Genf verbracht hatte. Claude war sein bester Freund und auch der einzige, der diese Bezeichnung wahrhaftig verdiente. Natürlich hätte Federico mit ihm durch die Clubs und Bars ziehen können. Claude hätte ihn nur zu gerne mitgenommen. Das Problem, das sich hierbei nur ergab: Claude war schwul und seit Federico ihn einmal in eine Bar begleitet hatte... Nun, er hatte es als eine sehr denkwürdige Erfahrung empfunden, um es einmal vorsichtig zu umschreiben. Es kam schließlich nicht oft vor, dass ihm wildfremde Männer an den Hintern fassten.
»Anscheinend hat dich unser liebster Dekan nicht mit Samthandschuhen angefasst«, stellte Claude fest als er sich zu Federico aufs Bett setzte. Er zog den Reißverschluss seines Rucksacks auf und drückte Federico eine Flasche Bier in die Hand. Er hatte sie wohl auf dem Rückweg zum Konservatorium gekauft.
»Es ist immer das Gleiche.« Federico schüttelte den Kopf. Nein, er wollte jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Er hatte sich heute schon genug den Kopf darüber zerbrochen. Er setzte sich auf und kramte in seinem Nachttisch nach einem Flaschenöffner.
»Und sonst? Was habe ich verpasst?« Claude war einige Tage bei seinen Eltern gewesen und hatte die Vorlesungen geschwänzt. Er war ein lebensfroher junger Mann, der stets gute Laune hatte, nett war und bei allen sehr beliebt. Er studierte Violine und Federico war froh, dass er ihn als Mitbewohner hatte. Wenn ihn einer seine Sorgen vergessen ließ, und sei es nur weil er herumalberte, dann Claude.
Federico reichte ihm den Flaschenöffner und sie schwiegen für einen Moment als sie den ersten Schluck Bier genossen. »Arrowfield ist endlich aufgetaucht.« Dies war noch die einzige spektakuläre Neuigkeit, die er mit Claude teilen konnte.
»Endlich! Madame Dupal hat sich ja schon nicht mehr eingekriegt.« Auch Claude hatte die schwärmerischen Aussagen der alten Dozentin einfach nur als störend empfunden.
»Hast du ihn schon gesehen? Trägt er die Nase so hoch wie alle sagen?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich habe ihn im Sekretariat gesehen. Er war richtig nett. Ich glaube, es ist ihm selbst etwas peinlich. Wahrscheinlich will er auch einfach nur seine Ruhe haben.«
»Mhm.«
Als er sich dann gegen Mitternacht schlafen legte und Claude wieder in seinem eigenen Zimmer war, kehrte die Melancholie zurück. Claudes Anwesenheit war wie eine warme, tröstende Decke gewesen, die ihm jetzt wieder entrissen worden war.
Er dachte erneut an seine Eltern. Wie gern würde er wissen, was sie zu seinem Leben sagen würden? Wären sie stolz auf ihn und würden ihn unterstützen, in allen Belangen?
Fast noch mehr als die Einsamkeit, quälten ihn diese Fragen.
3
Nach zwei Wochen an seiner neuen Hochschule saß Alexis in dem großen Konzertsaal des Konservatoriums. Der Raum hatte einfach das gewisse Etwas und war nicht bloß eine Ansammlung von Holz und Metall. Unnötig zu erwähnen, die Akustik war ebenfalls außerordentlich gut. Kein Wunder also, dass fast jede Woche Aufführungen stattfanden und dass er sich hier einfach gerne aufhielt.
Er war zu früh gekommen und wartete auf die übrigen Kursteilnehmer und den Professor. Gerade stand eine Gruppe Schüler um das Instrument herum versammelt. Es waren noch Anfänger, kleine Jungen und Mädchen, die ihre Ausbildung an der Orgel erst begonnen hatten. Der Lehrer erklärte ihnen den Grundaufbau einer Orgel: »Falls es inzwischen noch jemand nicht wissen sollte: Auf den Manualen spielt man mit den Händen, das Pedal ist für die Füße.«
»Und wie hält man sich dann fest?«, wollte ein Schüler mit ungläubigem Ton in der Stimme wissen. »Rutscht man dann nicht vom Sitz während man spielt?«
Der Lehrer lachte und auch Alexis schmunzelte. Nur zu gut erinnerte ihn dies an seine eigenen ersten Spielversuche an der Orgel. Es schien ihm als ob das schon vor einer
Weitere Kostenlose Bücher