Holz und Elfenbein
etwas unheimlich Ehrliches war. Entstanden Fehler, dann war nur er selbst daran Schuld und niemand anders. Er war für den Erfolg und den Misserfolg verantwortlich. Im Gegensatz zu einem Orchester, wo es von den zahlreichen Musikern und ihrem Zusammenwirken abhängig war.
Der letzte Akkord verklang im Raum und langsam holte ihn wieder die Realität ein. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er den respektvollen Applaus hörte. Einem anderen wäre es vielleicht peinlich gewesen, doch Alexis wusste, dass er sehr gut gespielt hatte. Applaus war da schon angebracht.
»Was soll ich Ihnen überhaupt noch beibringen, Monsieur Arrowfield?«, fragte Professor Stevens scherzhaft.
»Du siehst ziemlich zufrieden mit dir aus« Valerie packte gerade ihre Unterlagen zusammen. Die übrigen Kommilitonen waren bereits gegangen und sie waren alleine im Saal.
»Mhm, ja. Definitiv.« Alexis streckte sich und grinste. »Aber jetzt habe ich Hunger. Gehen wir zusammen essen?«
»Gute Idee«, nickte sie und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur Mensa.
Einem spontanen Impuls folgend fragte er Valerie: »Hast du eigentlich Federico Batist in den letzten Tagen gesehen?«
Eigentlich war Alexis froh darum, dass der junge Pianist sich wohl zurzeit nicht am Konservatorium aufhielt. Es verhinderte, dass er sich zu viele Gedanken darüber machte, was genau er gegenüber dem anderen Studenten empfand. Allein die Tatsache, dass er sich solche Gedanken machte. Dabei hatte er Federico gerade einmal kurz gesehen und bestimmt nicht mehr als zwanzig Worte mit ihm gewechselt.
Sie schien indes über diese Frage nicht im Geringsten verwundert zu sein. »Ich glaube, er ist in den USA.«
Alexis entfuhr ein fragendes Geräusch und sie zuckte nur mit den Achseln. »Ja, er ist sehr beschäftigt.« Sie warf einen Blick auf den Speiseplan der Mensa, der neben der Eingangtür angebracht war. »Magst du Linsensuppe, Alex?«
»Nein, nicht im Geringsten.«
»Das dachte ich mir.« Sie zog sich ihre Jacke an, die sie bis jetzt über dem Arm getragen hatte. »Komm, ich zeig dir ein nettes, kleines Bistro gleich um die Ecke. Da essen wir häufiger und die Preise sind recht studentenfreundlich.«
»Hört sich gut an.«
»Besser als Linsen ist es allemal« stimmte sie zu.
Sie redeten über Belanglosigkeiten während sie den Campus verließen. Gelegenheit genug für Alexis sich den kurzen Luxus zu erlauben, seine Gedanken schweifen zu lassen. Er wusste nicht genau, was es war, das ihm an Federico so ins Auge gesprungen war und warum er damals im Büro für ein paar Sekunden das Atmen vergessen hatte. Was ihn am meisten daran ärgerte, dass er überhaupt so auf Federico regiert hatte. Wie ein unschuldiger, unerfahrener Schuljunge! Als ob er dafür nicht schon längst zu alt wäre.
Mit sechzehn hatte er begonnen sich mit seiner Homosexualität auseinander zu setzen und in den letzten zehn Jahren hatte er so einige Erfahrungen gesammelt. Gute und schlechte, doch nichts hatte ihn auf so etwas vorbereitet.
Alexis musste sich fragen, ob er es überhaupt wagen sollte. Nein, er ging schon wieder zu weit. Er sollte Federico erst einmal etwas besser kennenlernen. Womöglich fand er den Pianisten bei der zweiten und dritten Begegnung schon nicht mehr so faszinierend und anziehend.
Er hielt Valerie die Tür zum Bistro offen und ließ ihr den Vortritt.
»Ah, sieh mal da«, raunte sie leise und zeigte auf einen Tisch in der Ecke des Raumes.
Alexis war jemand, der durchaus an göttliche Fügung glaubte und so war er versucht es als solche zu deuten als dort niemand anderes als Federico Batist saß. Er war in Begleitung eines anderen jungen Mannes und bevor Alexis zu Valerie etwas sagen konnte, steuerte sie bereits auf den Tisch zu.
» Salut Claude.«
»Ah Valerie.« Federicos Begleiter erhob sich und tauschte mit ihr zwei Küsschen auf der Wange. »Danke für das Rezept, meine Mutter war begeistert.«
»Das sagte ich dir doch!«, sie tat entrüstet, so als ob sie nie daran gezweifelt hatte. »Habt ihr etwas dagegen, wenn wir uns zu euch setzen?« Schnell stellte sie die Herren einander vor. Claude studierte Violine und war Federicos Mitbewohner. Alexis zweifelte daran wie diese beiden miteinander auskamen. Claude kam ihm so überdreht vor, im Gegensatz dazu war Federico der sprichwörtliche Fels in der Brandung.
Federico gähnte, das dritte Mal in einer Minute, und versuchte sich dabei nicht den Kiefer auszurenken. Er beteiligte sich kaum an dem
Weitere Kostenlose Bücher