Home Run (German Edition)
ob alles bis ins Detail stimmt. Mit seinen funkelnden Augen und buschigen Brauen hat er etwas an sich, das bei mir den Eindruck entstehen lässt, er schmückt hin und wieder gern etwas aus. Aber das macht nichts. Er erzählt gern Geschichten, und die Familie Castle ist offenbar eines seiner Lieblingsthemen. Ich bin froh, dass ich hier sein kann, und höre ihm mit Vergnügen zu.
»Selbst als Charlie und Red bei den Profis spielten«, sagt er jetzt, »redeten alle nur über Joe. Als er noch ein kleiner Junge war, mit zehn oder so, schlug er in einem Spiel gegen Mountain Home vier Home Runs. Das war das erste Mal, dass sein Name in der Zeitung stand. Ich bin ins Archiv gegangen und habe es rausgesucht. 1973 wurde ich mit Anfragen überschüttet, weil alle Hintergrundmaterial über Joe Castle haben wollten. Damals habe ich den halben Sommer damit zugebracht, alte Ausgaben durchzulesen. Als er zwölf war, hat er mit unserer All-Star-Mannschaft den dritten Platz in Little Rock gemacht, und ich habe auf der Titelseite einen Riesenartikel über das Team gebracht, mit einem großen Foto und allem, was dazugehört. Als er dreizehn war, hat er aufgehört, mit den Jugendlichen zu spielen, und den ganzen Sommer mit einer Männermannschaft trainiert. Joe spielte an der ersten Base, Red an der zweiten, Nummer drei und vier im Line-up, und es müssen etwa hundert Spiele gewesen sein. Da ist uns dann klar geworden, dass aus ihm etwas Besonderes werden könnte. Die ersten Scouts tauchten auf, als er fünfzehn war. Charlie spielte in den Minor Leagues, Red spielte in den Minor Leagues, aber alle redeten nur über Joe. Im Mai 1966 berichtete ich über ein Entscheidungsspiel unten in Searcy, und Joe schlug einen Ball, der von einem Schulbus auf dem Parkplatz vor dem Feld abprallte, einhundertachtundzwanzig Meter von der Home Plate entfernt. Können Sie sich das vorstellen? Ein sechzehnjähriger Junge schlägt einen 128 -Meter-Home-Run, mit Holz, nicht mit Aluminium. Die Scouts sahen ihm mit offenem Mund zu und schüttelten ungläubig den Kopf. Es war einfach unglaublich.«
»Clarence, das Essen ist fertig«, ruft Fay von der Veranda, und das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Seit meinem Mittagessen, einem Sandwich, sind schon über acht Stunden vergangen. Fay hat direkt unter einem der Ventilatoren einen kleinen, runden Tisch gedeckt, auf dem eine Vase mit frisch geschnittenen Blumen steht. Ich sehe eine große Schüssel mit einem Salat aus Tomaten, Gurken und Zwiebeln und eine zweite mit gegrillten Zucchini und Auberginen auf Naturreis. »Vor zwei Stunden war das alles noch im Garten«, sagt Fay, während sie auf das Essen deutet.
Wir lassen die Schüsseln herumgehen und beginnen zu essen. Ich sollte jetzt eigentlich ihre Arbeit als Künstlerin ansprechen, tue es dann aber doch nicht. Einen Besuch wie diesen wird es kein zweites Mal geben, und ich möchte über Joe Castle reden. Nach ein wenig Geplauder über meine Frau, meine Töchter und meine Arbeit gelingt es mir, das Gespräch wieder auf Baseball zu bringen.
»Wie war das 1970 , als es Zeit für den Draft war?«, frage ich.
Clarence kaut, schluckt und trinkt einen Schluck Wasser. »Verrückt. Wir dachten, er würde als Erster unter Vertrag genommen werden, zumindest hatten das die Scouts zwei Jahre lang gesagt«, erwidert er dann.
»Hier dachten alle, er würde reich werden«, fügt Fay hinzu.
»Spieler, die gleich zu Beginn des Drafts unter Vertrag genommen wurden, konnten damals bis zu einhunderttausend Dollar bekommen. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben – wir leben hier in einer Kleinstadt. Die Leute haben ganz offen darüber geredet, was Joe alles mit seinem Geld anstellen würde. Und dann passierte etwas sehr Merkwürdiges. Ende Mai stand Calico Rock in der Endrunde des State Tournament, drüben in Jonesboro, und Joe spielte zweimal schlecht. Er hatte zehn Jahre lang kein schlechtes Spiel mehr gehabt, und dann, bums, gleich zwei nacheinander. Einige der Scouts haben wohl kalte Füße bekommen. Die Cubs nahmen ihn in der zweiten Runde, boten ihm fünfzigtausend Dollar, und das war’s.«
»Was ist mit dem Geld passiert?«, frage ich.
»Fünftausend Dollar hat er seiner Kirchengemeinde gespendet«, klärt Fay mich auf. »Und die Highschool hat auch fünftausend Dollar bekommen, stimmt’s, Clarence?«
»Das kommt ungefähr hin. Weitere fünftausend wurden verwendet, um das Baseballfeld der Little League in Schuss zu bringen, wo er so oft gespielt hatte. Und er
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