Home Run (German Edition)
dem ersten Pitch. Die Atmosphäre vor dem Shea Stadium war spannungsgeladen. Ich war überrascht, dass so viele Fans der Cubs gekommen waren. Die meisten von ihnen trugen weiße Spielertrikots mit der Nummer 15 auf dem Rücken. Darunter waren einige Familien, die sich sehr gesittet benahmen, aber auch viele junge Männer, die in Gruppen auftraten und wie Straßengangs umherzogen, herumbrüllten, Bier tranken und Streit suchten. Den sie auch fanden. Die New Yorker Fans waren alles andere als schüchtern und gingen nur selten einer Herausforderung aus dem Weg. Ich sah, wie die Polizei drei Schlägereien auflöste, bevor wir an den Drehkreuzen vorbei waren. »Das ist ja widerlich«, sagte meine Mutter. Es sollte ihr letzter Besuch in einem Baseballstadion sein.
Das Shea hatte fünfundfünfzigtausend Sitze und war bereits zu zwei Dritteln voll, als wir unsere Plätze einnahmen. Die Cubs waren gerade mit dem Schlagtraining an der Reihe, und um den Käfig an der Home Plate drängte sich eine dichte Menge. Ron Santo, Billy Williams, Jose Cardenal und Rick Monday waren in einer Gruppe, und während sie sich am Schlag abwechselten, wanderte mein Blick über das Outfield, bis ich ihn sah. Als er sich umdrehte, um einem Fly Ball hinterherzujagen, sah ich den Namen »Castle« auf dem Rücken seines königsblauen Trikots. Er fing den Ball an der Foul-Linie des Right Field, und unzählige Kinder brüllten nach einem Autogramm. Er lächelte und winkte und lief zu einer Gruppe von Cubs-Spielern, die im Right Center herumstanden und sich vermutlich über die Frauen auf der Tribüne am Outfield unterhielten.
Inzwischen hatte ich viele Beschreibungen von Joe Castle gelesen. Als er noch in der Highschool war, hatten einige Scouts befürchtet, er wäre zu dünn. Mit achtzehn hatte er siebenundsiebzig Kilo gewogen, was einige der Experten für bedenklich wenig hielten. »Er muss sich noch nicht mal rasieren. Lasst den Jungen doch erst mal wachsen«, hatte sein Vater daraufhin angeblich gesagt. Und er hatte recht gehabt. Während seiner Zeit in den Minor Leagues war Joe schwerer und muskulöser geworden, dank einer Kombination von natürlichem Wachstum und stundenlangem Gewichtheben. Er hatte breite Schultern und eine schmale Taille. Seine Baseballhose saß sehr eng, und in einem Artikel in der Tribune war davon die Rede, dass er aus dem ganzen Land anzügliche Briefe von Frauen bekam.
Joe schien über das Outfield zu gleiten, während um ihn herum die Schläger krachten und die Bälle in alle möglichen Richtungen flogen. Dann sah ich meinen Vater im Dugout der Mets. Er saß ganz allein da und tat das, was er vor einem Spiel immer tat. Allerdings war es noch viel zu früh, um in den Bullpen zu gehen und sich aufzuwärmen. Es war ungewöhnlich, dass er sich schon im Dugout aufhielt. Zwei Stunden vor dem Spiel war er normalerweise in der Kabine und ließ sich massieren. Neunzig Minuten vor dem Spiel zog er sich um. Fünfundsiebzig Minuten vor dem Spiel verließ er die Kabine, ging durch den Dugout und lief in Richtung Bullpen, den Kopf gesenkt, ohne einen einzigen Blick auf den Dugout der gegnerischen Mannschaft zu werfen. Je länger ich darüber nachdachte, desto merkwürdiger kam es mir vor. Baseballspieler – und ganz besonders Pitcher – sind Fanatiker, wenn es um ihre Rituale geht. Mein Vater hatte einen Record von drei und eins aus seinen letzten sechs Spielen und vier Tage zuvor sein vielleicht bestes Spiel der letzten fünf Jahre gepitcht. Warum hätte er etwas ändern sollen?
Meine Mutter kaufte mir ein Programm als Souvenir, dann ein Eis, und ich unterhielt mich mit den Fans, die um uns herum saßen. Schließlich ging Joe zum Dugout der Cubs, der unseren Sitzen direkt gegenüberlag. Er holte seine Schläger, setzte seinen Helm auf und begann mit dem Aufwärmen. Um den Tribünen nicht zu nahe zu kommen, blieb er in der Nähe des Schlagkäfigs. Als er an der Reihe war, sprang er in den Käfig, buntete ein paarmal und fing dann an, Bälle auf das gesamte Feld zu schlagen. Umstehende kamen näher. Fotografen balgten sich um die besten Plätze und machten am laufenden Band Bilder von ihm. In der zweiten Runde drehte er auf, und die Bälle wurden immer weiter. In der dritten Runde schlug er richtig zu, von beiden Seiten der Plate, und hämmerte fünf harte Fastballs auf die offene Tribüne, wo Hunderte Kinder versuchten, die Bälle als Souvenir zu fangen. Die Fans der Cubs jubelten bei jedem Schlag, und um ein Haar hätte ich mit
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