Home Run (German Edition)
Bord.
Er holt tief Luft und sieht mich an. »Danke, dass du das getan hast. Es bedeutet mir sehr viel, und Joe hat es auch viel bedeutet. Jetzt ist eine schwere Last verschwunden.«
»Das nennt man wohl die heilende Kraft der Vergebung.«
»Da spricht schon wieder der Klugscheißer.«
»Wahrscheinlich.«
»Nein, im Ernst, Paul, du bist viel klüger als ich, weil du ein Leben lebst, in dem du nur wenig bereust. Wenn ich sterbe, nehme ich eine lange Liste mit, auf der lauter Dinge stehen, die ich gerne anders gemacht hätte. Es ist nicht schön, so gehen zu müssen.«
»Jetzt kannst du das nicht mehr in Ordnung bringen.«
Wir geben uns die Hand. »Du hast recht. Aber ich bereue so vieles, Paul.«
Darauf habe ich keine Antwort. Ein banales »Oh, schon okay, Warren, alles vergessen und vergeben« will mir nicht über die Lippen kommen. Wir geben uns noch einmal die Hand, und es ist klar, dass er eine schnelle Umarmung erwartet. Aber ich will nicht.
Warren dreht sich um und geht. Er blickt nicht zurück.
23
Agnes ruft alle zwei Tage an und berichtet, wie sich sein Zustand verschlechtert. Er isst nichts mehr, seine Organe versagen allmählich, er ist im Krankenhaus, er ist wieder zu Hause, er ist in ein Hospiz verlegt worden. Warren benimmt sich wieder wie der alte Warren – er ruft nicht selbst an, er will nicht reden. Sara fragt mehrfach, ob ich ihn nicht besuchen möchte.
Nein. Ich habe ihn schon besucht.
Jill und ich telefonieren manchmal miteinander. Das ist typisch für die Familie Tracey – Warren redet mit Agnes, die dann mich anruft, und ich wiederum rufe dann meine Schwester an. Jill möchte nicht mit ihm reden, sie möchte ihn nicht sehen, und sie möchte auch nicht zu seiner Beerdigung gehen, wenn er tot ist.
Er wird immer schwächer, und die Anrufe von Agnes gleichen sich in ihrer Monotonie. Ich werfe einen Blick auf den Kalender. Bald ist Thanksgiving, und ich hoffe, Warren bringt unsere Planung nicht durcheinander.
Das tut er nicht. Er stirbt am 10 . November, mit fünfundsechzig Jahren, allein in einem Hospiz. Agnes teilt mir mit, dass die Trauerfeier für den Freitag der folgenden Woche geplant ist. Sara und ich streiten uns lange und ziemlich heftig darüber, ob sie mich zur Trauerfeier begleiten soll oder nicht. Ich bestehe darauf, dass sie nicht mitkommt, während sie sich aus irgendeinem merkwürdigen Grund verpflichtet fühlt, einem Mann die letzte Ehre zu erweisen, den sie kaum gekannt hat; einem Mann, der nicht zu unserer Hochzeit gekommen ist und uns nicht zur Geburt unserer drei Töchter gratuliert hat. Es gibt keine Familie, zu der wir uns setzen könnten. Und es wird sicher auch kein Treffen nach der Trauerfeier geben.
Sara hat dort nichts verloren. Außerdem möchte ich nicht weitere fünfhundert Dollar für ein Flugticket aus dem Fenster werfen. Schließlich erklärt sie sich widerwillig einverstanden.
In Florida sterben eine Menge Leute, und viele von ihnen sind Rentner, die in ihrer jeweiligen Gemeinde nicht sehr verwurzelt sind. Daher wird die Sache mit der Beerdigung rasch und durchorganisiert über die Bühne gebracht. Die Trauerfeiern sind in der Regel klein, kurz, ja sogar unpersönlich.
Warren wollte eingeäschert werden, und seinem Wunsch wurde entsprochen. Die Trauerfeier findet in der fensterlosen Kapelle des Mausoleums ganz in der Nähe seines Hauses statt. Mein Timing ist perfekt, ich komme – allein – fünfzehn Minuten vorher an. Agnes sitzt in dem Raum, der für die Familie des Verblichenen reserviert ist. An Familie ist nicht viel vorhanden. Agnes und ihre Tochter Lydia, die ich noch nie gesehen habe, und ich. Man sollte doch meinen, dass ein Mann, der fünfmal verheiratet war, etwas mehr Interesse erzeugen würde.
Wir sitzen und reden, und die Zeit gerät ins Stocken. Agnes fragt mich noch einmal, ob ich eine Trauerrede halten oder ein paar Worte sagen möchte. Ich lehne erneut höflich ab und entschuldige mich damit, dass ich befürchte, meine Gefühle nicht unter Kontrolle zu haben, und mich nicht in eine peinliche Lage bringen will. Abgesehen von Gefühlen wären sämtliche anrührenden Worte oder Geschichten, die ich zu diesem Zeitpunkt anzubieten hätte, komplett erlogen.
Lydia, die mich mit Argwohn betrachtet, kommt schließlich zur Sache. »Paul, wir haben sein Testament schon gelesen.«
Ich hebe abwehrend die Hände. »Es ist mir egal, was drinsteht. Ich will nichts haben. Ich werde nichts annehmen. Falls ich erwähnt werde, weigere ich mich,
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