Home - Wieder zu Hause
er sich zu mir herab und küsste meine Lippen. Sein Kuss war sanft, zärtlich und liebevoll. Verdammt, es war so gut.
„Ich glaube, ich bin jetzt müde geworden. Stört es dich, wenn ich ein kleines Nickerchen mache?“
Er holte den Stuhl zurück ans Bett. Als das Bett frisch bezogen wurde, war er wohl aus dem Weg geräumt worden. Dann setzte er sich wieder zu mir, nahm meine Hände in seine und gab mir noch einen zarten Kuss.
„Schlaf jetzt, mein Herz. Wenn du wieder aufwachst, bin ich noch da. Für immer.“
Ja, er würde hier sein.
Clark – Vergangenheit
A LS MEINE Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah ich mich in der schmutzigen Wohnung um. Überall lagen mehr oder weniger bekleidete Gestalten rum und befummelten sich – letzteres ebenfalls mehr oder weniger. Einige kannte ich aus der Schule, andere waren mir vollkommen unbekannt. Mehrere Leute lagen auf dem Boden, entweder schlafend oder bewusstlos. Zwei Typen saßen mit gläsernem Blick vor dem Fernseher. In einer Ecke knutschten zwei Mädchen. Mir wurde fast schlecht bei dem Gedanken, dass Noah sich schon seit zwei Tagen hier aufhielt.
Ich unterdrückte meinen Brechreiz und wandte mich an den Kerl, der die Tür aufgemacht hatte: „Hmm, wo ist Noah?“
Er zeigte auf eine Tür am Ende des Zimmers.
„Danke.“
Ich ging durch die Tür und dann sah ich ihn. Er saß an einem Tisch, in der einen Hand ein Feuerzeug, in der anderen eine Stück Alufolie. Aus der Folie stieg Rauch auf. Er hatte ein Plastikröhrchen im Mund, dessen anderes Ende er direkt in den Rauch hielt.
„Noah?“
Seine roten Augen blickten mich an, und beinahe wäre ich ausgerastet und in Tränen ausgebrochen.
Er wirkte müde, schmutzig und verstört. Aber das war nicht das Schlimmste. Am meisten schmerzte mich die Traurigkeit, die ihm aus jeder Pore zu quellen schien. Ich ging zu ihm und hockte mich an seiner Seite auf den Boden. Dann bedeckte ich seine Hände mit meinen und brachte so das Feuerzeug zum Erlöschen. Ich legte die Alufolie auf den Tisch, zog Noah vom Stuhl in meinen Schoß und wiegte ihn sanft hin und her.
„Was tust du da, Noah?“
Meine Stimme war kaum wahrnehmbar, aber er hatte den Kopf unter mein Kinn gelegt und ich flüsterte ihm direkt ins Ohr.
„Ich jage den weißen Drachen.“
Man mag mich naiv nennen, aber den Begriff hatte ich noch nie gehört, und er sagte mir nicht das Geringste. Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Ich hatte eine grobe Vorstellung davon, was passiert sein musste. Er war von zu Hause ausgerissen, hatte sich hier verkrochen und mit Drogen zugedröhnt. Ich wollte nur wissen, warum – warum hatte er sich mit seinen Eltern gestritten, warum war er weggelaufen und warum nahm er die Drogen?
Ich machte mir Vorwürfe, ihn nie nach den Ursachen seiner Wut gefragt zu haben. Jedenfalls nicht, bevor es zu spät war. Ich hatte in den letzten Monaten viele Stunden mit ihm verbracht, jede Woche. Ich hatte mir eingeredet, für ihn da gewesen zu sein. Ich meinte, mich um ihn zu kümmern und ihn zu verstehen. Sanft rieb ich ihm mit der Hand über den Rücken. Dabei hielt ich ihn fest an die Brust gepresst und wiegte ihn weiter hin und her.
„Was ist passiert, Noah? Sag es mir.“
Er drückte sich noch enger an mich.
„Ich halte es nicht mehr aus. Es geht einfach nicht. Ich dachte, ich würde es irgendwie durchstehen, weißt du? Damit sie mich nicht hassen. Nur bis ich achtzehn bin, bis es vorbei ist. Aber das sind noch fast fünf verdammte Jahre. Es ist einfach zu lang. Und je mehr ich vermeiden will, dass sie mich hassen, umso mehr hasse ich mich selbst. Und wie soll ich vor mir selbst fliehen, huh? Wie soll das gehen?“
Ich versuchte, zu verstehen, was er mir sagte und was es mit dem Noah, den ich kannte, und mit seiner Familie zu tun hatte. Aber ich hatte Schwierigkeiten, seinen Worten zu folgen. Ich war mir ziemlich sicher, dass er mit ‚sie‘ seine Eltern meinte. Und dass die Drogen seine Art der Flucht waren. Aber der Rest ergab für mich einfach keinen Sinn.
„Warum sollten sie dich hassen? Deine Eltern lieben dich, Noah. Es tut mir leid, wenn du das nicht sehen kannst. Aber du musst es mir glauben. Ich habe sie doch mit dir zusammen gesehen.“
Er schnaubte höhnisch.
„Das ist nur, weil sie mich nicht kennen. Es ist so verdammt ironisch, weißt du? Ich kann tun und lassen, was ich will, um sie wegzustoßen – ausreißen, fluchen oder Drogen nehmen – sie versuchen nur, mit mir zu reden und
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