Homeland: Carries Jagd: Thriller (German Edition)
»Dein Liebesleben geht mich nichts an«, sagte er. »Aber wenn du willst, dass du in Ruhe gelassen und nicht von Wildfremden betatscht wirst, dann ist es besser, die Männer glauben zu lassen, du gehörst bereits einem Mann – denn so sieht man das hierzulande. Und einem anderen die Frau wegzunehmen ist ein größeres Tabu als eine Vergewaltigung. Mit dem Ring behältst du wenigstens die Kontrolle.«
Sie hatte sich über das Freundschaftliche hinaus nie zu Virgil hingezogen gefühlt. Und wie es ihm mit ihr ging, das wusste sie nicht. Wollte es lieber gar nicht wissen. Er war verheiratet, ohne je über seine Ehe zu sprechen. Es hatte nichts mit ihr zu tun. Sie waren Kumpel, gute Kameraden. Carrie respektierte ihn und hatte das Gefühl, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Sex hätte die Dinge bloß komplizierter gemacht, und das konnte man nicht gebrauchen, wenn man sich aufeinander verlassen musste.
»Willkommen in der Realität der CIA «, höhnte Virgil und verzog das Gesicht. Er hegte die für Feldagenten typische Verachtung gegenüber den Managertypen in Langley. »Wozu brauchen wir feindliche Spione? Wir haben den Sumpf schließlich in der eigenen Organisation. Tut mir leid, dass du da reingeraten bist.«
Sie erreichten den Stadtteil Ghobeiry und bogen in kleine Seitenstraßen ab, in denen Kinder mit Dosen Fußball spielten und Stöcke als Pistolen verwendeten. Männer saßen vor kleinen Läden beim Tawla, einer Art Backgammon, und schlürften ihren Tee. Von den Seitenwänden mancher Häuser blickten die bärtigen Gesichter von Märtyrern herab, die meisten so jung, dass ihre Bärte nicht echt wirkten. Und überall hingen die gelb-grünen Fahnen der Hisbollah wie Wäsche auf der Leine.
Bevor sie in den Libanon gegangen war, hatte Saul zu ihr gesagt: »Beirut ist wie Istanbul, eine Stadt auf zwei Kontinenten. Nord-Beirut ist wie Paris mit Palmen; Dahiye ist der wahre Nahe Osten.«
»Wo triffst du dich mit ihr?«, fragte Virgil.
»Im Supermarkt«, antwortete sie. »Sie kann nicht so leicht von zu Hause weg.«
»Wie machen wir es?«
»Du bleibst im Wagen und lässt den Motor laufen, falls wir schnell wegmüssen. Wenn jemand fragt, du bist mein Auf passer.«
»Okay, aber lass niemanden zu nahe rankommen. Mit deiner irisch-amerikanischen Visage täuschst du niemanden, selbst mit Kopftuch und Schleier nicht«, grinste er.
»Danke, Virgil. Du bist immer für mich da.« Sie sah ihn an. »Warum?«
Er erwiderte ihren Blick, fand es irgendwie eigenartig, sie so zu sehen mit Abaya und Kopftuch. »Willst du’s wirklich wissen?«
»Ja, wirklich.«
Er nickte. »Erzähl’s nicht weiter, aber du bist der verdammt schlaueste Mensch hier bei uns. Oh, und du siehst nicht übel aus. Kein Wunder, dass Fielding dich hasst. Tu mir nur einen Gefallen.«
»Gern.«
Er fuhr eine schmale Straße den Hügel hinauf. Vier junge Männer mit AK -47-Gewehren, die vor einem Shisha -Café saßen und Wasserpfeifen rauchten, beobachteten sie interessiert. Während sie langsam an ihnen vorbeirollten, zog Carrie den Niqab, ihren Schleier, vors Gesicht.
»Das ist verrückt«, murmelte Virgil und blickte sich um.
»Ich muss es tun. Sie vertraut nur mir, und ich kann sie nicht einfach im Stich lassen.«
»Okay, aber sei vorsichtig. Sobald du mit ihr gesprochen hast, gilt Fieldings Anweisung – dann bringe ich dich zum Flug hafen.«
»Ich beeile mich.«
»Tu das.« Virgil bog in eine schmale Straße ein, wo vor einer sandfarbenen Moschee Sandsäcke gestapelt waren. »Ich weiß nicht, wie lange wir hier noch willkommen sind«, fügte er mit argwöhnischen Blicken auf die Barrikade hinzu.
Carrie nickte. Sie musste das Risiko eingehen. Von allen Informanten, die für sie gearbeitet hatten, stand ihr Fatima Ali am nächsten. Ihren Codenamen »Julia« verdankte sie der Tatsache, dass sie und Carrie sich zum ersten Mal in einem Kino getroffen hatten. Bei dieser Gelegenheit vertraute Fatima ihr an, dass sie amerikanische Filme liebe und ein großer Fan von Julia Roberts sei. Hinter Abaya und Schleier war sie eine hübsche dunkelhaarige, dazu hochintelligente Frau, die von ihrem Mann Abbas regelmäßig misshandelt wurde, weil sie wegen einer schmerzhaften Endometriose keine Kinder bekommen konnte.
Er schlug sie fast jeden Tag, nannte sie eine Sharmuta – eine Hure – und ein nutzloses, kinderloses Stück Dreck. Einmal hatte er sie mit einem großen Montierhebel so schlimm verprügelt, dass sie sich mit sechs Knochenbrüchen ins
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