Homeland: Carries Jagd: Thriller (German Edition)
Hand, und bisweilen glaubte sie, die Welt durch eine dicke Glasscheibe wahrzunehmen. Manchmal verspürte sie extremen Durst, dann wieder verlor sie jeden Appetit und aß für zwei, drei oder vier Tage gar nichts, trank nur Wasser. An Sex dachte sie kaum noch. Sie trottete von einer Vorlesung in die nächste und wurde immer mehr von dem Gefühl befallen, dass es so nicht weiterging. Dass sie so nicht leben konnte.
Ihre Rettung war der Vorschlag eines Professors, an einem Sommerprogramm der amerikanischen Universität in Beirut teilzunehmen. Zuerst wollte ihr Vater die Kosten nicht tragen, obwohl sie behauptete, den Kurs für ihre Abschlussarbeit zu brauchen.
»Was ist, wenn du dort einen Zusammenbruch erleidest?«, wandte er ein.
»Was ist, wenn es mich hier erwischt? Wer hilft mir dann? Du, Dad?« Sie unterließ es, Thanksgiving zu erwähnen – er wusste ohnehin, was sie meinte: dass das, was ihm damals passierte, ihr eines Tages genauso widerfahren könnte. Die Tat sache allerdings, dass sie bereits nicht mehr allzu weit vom Selbstmord entfernt war, verbarg sie vor ihm. Und vor allen anderen.
»Ich brauche das«, versicherte sie. Und als das nichts half, machte sie Druck. »Du hast Mom bereits vertrieben. Willst du es mit mir auch so machen, Dad?« Schließlich hatte er sich bereit erklärt, die Kosten zu übernehmen.
Als sie dann nach Beirut kam und in diese großartige Stadt mit ihrer uralten Geschichte eintauchte, als sie Studenten aus dem ganzen Nahen und Mittleren Osten kennenlernte, mit ihnen Shawarma und Manakish aß und ihr allmählich das Lithium ausging, machte sie eine große Entdeckung. Ein arabischer Arzt im Zarif-Viertel, den sie konsultierte, betrachtete sie mit klugen Augen, während sie ihm ihre Leidensgeschichte erzählte. »Haben Sie es schon mal mit Clozapin probiert?«, fragte er schließlich.
Nein, aber von da an tat sie es und war binnen Kurzem fast wieder die Alte, wie vor dem Zusammenbruch. Als sie den Arzt ein zweites Mal aufsuchte, um sich ein neues Rezept zu holen, befand er sich gerade im Aufbruch zu einem längeren Urlaub. »Was ist, wenn mir keiner Ihrer Kollegen ein Rezept ausstellt?«, fragte sie panisch.
»Mademoiselle«, antwortete er, »hier in der Levante kriegen Sie für Geld alles.«
Dieser Sommer in Beirut markierte für sie den Wendepunkt in ihrem Leben. Die römischen Ruinen, die islamische Mosaikkunst, dazu Jazzklänge und die Musikalität der arabischen All tagssprache, die Strandpromenade, der Duft von frisch gebacke nen Sfouf und Baklava, der Ruf der Muezzins von den Moscheen, die Clubs und die heißen arabischen Jungs, die sie ansahen, als würden sie sie am liebsten zum Frühstück vernaschen – wie im mer sich ihr Leben entwickeln mochte, der Nahe Osten würde sie nicht mehr loslassen.
Als das Flugzeug auf dem Rafiq-Hariri-Flughafen landete, fragte Carrie sich, ob sich auch diesmal in Beirut die Puzzleteile auf magische Weise zusammenfügen würden – ob sie nach diesem endlos langen Lauf seit jenem missglückten Kontaktversuch im Ziel ankommen würde. Sie wollte nämlich immer noch nicht an einen Selbstmord von Fielding glauben. Dass sie ihn über den Tod hinaus für ein Arschloch hielt, hatte damit nichts zu tun. Irgendjemand musste ihn aus einem ihr noch unbekannten Grund ermordet haben. Und dieser Jemand lief nach wie vor herum und verfolgte irgendwelche dunklen Ziele.
Vom Flughafen fuhr sie mit dem Taxi in die Stadt. Der Fahrer erzählte ihr von den Vorbereitungen für das Osterfest und dass die Mutter seiner Frau die besten Maamoul, ein Gebäck mit Walnüssen und Datteln, der ganzen Stadt mache. Sie stieg beim Uhrturm am Nejmeh-Platz aus und ging die paar Blocks zum getarnten CIA -Büro, wo sie sich mit Ray Saunders, dem neuen Stationschef, traf.
Während sie an den vollbesetzten Tischen der Cafés vorbeiging, musste sie an das letzte Mal denken, als sie dieses Haus betreten hatte. Damals gab ihr Davis Fielding deutlich zu verstehen, dass ihre Laufbahn zu Ende sei. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit.
Carrie stieg die Treppe hoch, klingelte an der Tür, sagte ihren Namen in die Sprechanlage und wurde eingelassen. Ein junger Amerikaner im karierten Hemd führte sie in den kleinen Emp fangsbereich, wo Saunders sie begrüßte. Er war ein hochgewachsener, dünner Mittvierziger mit ausdrucksvollen Augen und lan gen Koteletten, die ihn irgendwie osteuropäisch aussehen ließen.
»Ich habe eine Menge über Sie gehört«, sagte er und gelei tete sie in
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