Homers letzter Satz: Die Simpsons und die Mathematik (German Edition)
folgten: Zwei kleine Klötze waren so groß wie ein mittelgroßer Klotz, zwei mittelgroße Klötze waren so groß wie ein großer Klotz, und zwei große Klötze entsprachen einem ganz großen Klotz.
Als Reiss lesen lernte, entwickelte er eine Vorliebe für Rätsel. Insbesondere die Bücher von Martin Gardner, dem größten Hobby-Mathematiker des 20.Jahrhunderts, faszinierten ihn. Gardners spielerische Herangehensweise an Rätsel begeisterte junge und alte Leser, oder wie einer seiner Freunde es ausdrückte: »Martin Gardner machte aus Tausenden von Kindern Mathematiker, und aus Tausenden Mathematikern Kinder.«
Reiss begann mit Logik unterm Galgen – Ein Mathematical in 20 Problemen und gab dann sein gesamtes Taschengeld für weitere Rätselbücher von Gardner aus. Im Alter von acht Jahren schrieb er an Gardner, er sei ein Fan, und berichtete ihm von seiner Beobachtung über Quadratzahlenpalindrome: Sie bestanden meist aus einer ungeraden Anzahl von Ziffern. Quadratzahlenpalindrome sind Quadratzahlen, die vorwärts und rückwärts gelesen die gleiche Zahl ergeben, wie etwa 121 (11 2 ) oder 5221225 (2285 2 ). Mit dieser Beobachtung hatte der Achtjährige absolut recht: Es gibt 35 solche Zahlen, die kleiner sind als 100 Milliarden, und nur eine von ihnen – 698896 (836 2 ) – besteht aus einer geraden Ziffernanzahl.
Nur ungern gibt Reiss zu, dass er Gardner in seinem Brief auch eine Frage stellte. Er wollte damals wissen, ob es eine endliche oder unendliche Menge von Primzahlen gab. Die Frage ist ihm heute peinlich: »Ich sehe den Brief heute noch genau vor mir, und das war eine wirklich dumme, naive Frage.«
Reiss ist in dieser Angelegenheit wohl etwas zu streng mit seinem achtjährigen Selbst, denn ganz so offensichtlich ist die Antwort nicht. Die Frage basiert auf der Tatsache, dass jede ganze Zahl Teiler hat, durch die sie ohne Rest geteilt werden kann. Die Besonderheit einer Primzahl besteht darin, dass sie eine Zahl größer als 1 ist und außer 1 und sich selbst (sogenannte triviale Teiler) keine weiteren Teiler besitzt. Die Zahl 13 ist also eine Primzahl, weil sie keine nichttrivialen Teiler hat, während 14 keine Primzahl ist, weil sie durch 2 und 7 teilbar ist. Jede Zahl größer als 1 ist entweder selbst eine Primzahl (z.B. 101) oder sie kann in Primfaktoren zerlegt werden (z.B. 102 = 2 × 3 × 17). Zwischen 0 und 100 gibt es 25 Primzahlen, zwischen 100 und 200 sind es nur noch 21, und zwischen 200 und 300 gibt es nur 16 Primzahlen. Sie scheinen also weniger zu werden. Aber gibt es irgendwann eine letzte Primzahl, oder ist die Liste der Primzahlen unendlich?
Gardner wies Reiss auf einen Beweis des antiken griechischen Gelehrten Euklid hin. 5 Euklid lebte um das Jahr 300 v.Chr. in Alexandria und bewies als erster Mathematiker, dass es eine unendliche Menge von Primzahlen gibt. Allerdings kam er zu diesem Ergebnis, indem er das genaue Gegenteil annahm und eine Beweistechnik anwendete, die Widerspruchsbeweis genannt wird oder auch Reductio ad absurdum. Euklids Herangehensweise wird verständlich, wenn man von der folgenden gewagten These ausgeht:
Man nehme an, die Menge der Primzahlen sei endlich
und all diese Primzahlen stünden auf einer Liste:
p 1 , p 2 , p 3 , …, p n
Die Folgen aus dieser Annahme werden deutlich, wenn man alle Primzahlen auf der Liste miteinander multipliziert und dann 1 addiert. Man erhält dann eine neue Zahl: N = p 1 × p 2 × p 3 × … × p n + 1. Diese neue Zahl N kann eine Primzahl sein oder keine Primzahl, aber sie widerspricht in jedem Fall Euklids ursprünglicher Annahme:
(a) Wenn N eine Primzahl ist, dann fehlt sie auf der Liste. Damit ist die Annahme, die Liste sei komplett, eindeutig widerlegt.
(b) Wenn N keine Primzahl ist, dann muss sie neue Primzahlen als Teiler haben, weil eine Division durch die Primzahlen auf der ursprünglichen Liste einen Rest von 1 ergibt.
Euklids ursprüngliche Annahme ist also falsch. Seine endliche Liste der Primzahlen enthält nicht alle Primzahlen. Man kann die Liste um beliebig viele Primzahlen erweitern, sie wird dennoch nie vollständig sein, weil sich mit derselben Argumentation die Unvollständigkeit jeder erweiterten Liste beweisen lässt. Damit ist bewiesen, dass jede Liste von Primzahlen unvollständig ist, woraus wiederum folgt, dass es eine unendliche Menge von Primzahlen geben muss.
Im Lauf der Jahre entwickelte Reiss sich zu einem herausragenden Mathematiker und erarbeitete sich einen Platz im Mathematiker-Team des
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