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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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meine.«
    »Tja, schöne Scheiße. Die war nämlich in Ihrem Schrank. Wem gehörtsie dann? Rosalind? Wenn wir die Waffe dem anderen kleinen Mädchen zeigen, an dem Sie sich vergriffen haben, wird sie uns sicher bestätigen, dass es Ihre Waffe ist. Glauben Sie nicht?«
    »Es ist nicht meine Waffe.«
    Edgerton steht auf. Fünf Minuten mit diesem Mann in einem Raum haben bereits genügt, um seine Geduld zu erschöpfen. Dale sieht mit ernstem Gesicht zu dem Detective auf. Er hat Angst.
    »Sie verplempern meine Zeit, Eugene.«
    »Ich war’s nicht.«
    »Was glauben Sie, wen Sie hier vor sich haben?« fragt Edgerton und hebt wieder die Stimme. »Ich habe keine Zeit, mir Ihr dummes Geschwätz anzuhören.«
    »Warum schreien Sie denn so?«
    Ja, warum schreie ich so, denkt Edgerton. Er ist drauf und dran, dem Mann die Wahrheit zu sagen, diesem Typen wenigstens ansatzweise die zivilisierte Welt zu erklären, an deren Rand er seine Existenz führt. Aber das wäre nur verschwendete Atemluft.
    »Sie mögen es also nicht, wenn Leute Sie anschreien?«
    Dale sagt nichts mehr.
    Als Edgerton aus dem Verhörraum kommt, spürt er in sich einen kleinen, aber wachsenden Klumpen Wut, einen Zorn, den nur selten ein Mordfall in ihm auslöst. Zum Teil rührt er von der Dummheit her, mit der sich Dale so stümperhaft aus der Affäre ziehen will, zum Teil von seinem kindischen Leugnen, doch was Harry Edgerton am meisten erbost, ist die schiere Ungeheuerlichkeit des Verbrechens. Er braucht nur auf das Schulfoto von Andrea Perry in seiner Akte zu schauen, und schon kocht die Wut in ihm hoch. Wie kann es sein, dass dieses kleine Leben durch einen Menschen wie Eugene Dale ausgelöscht wird?
    Normalerweise war Edgertons Haltung zu einem Verbrecher irgendwo zwischen leiser Verachtung und Gleichgültigkeit angesiedelt. Er ließ sich nur selten dazu herab, einem Tatverdächtigen wirklich zuzusetzen. Verdammt, die Kerle hatten es schwer genug. Wie die meisten Detectives hatte Edgerton keine Schwierigkeiten, sich mit einem Mörder ganz gelassen zu unterhalten. Man bietet ihm von den eigenen Zigaretten an, man begleitet ihn zum Klo, und man lacht über seineWitze, wenn sie gut sind. Und wenn er brav jede Seite seiner Aussage unterschreibt, dann kauft man ihm sogar eine Dose Pepsi.
    Doch dieser Fall ist anders. Edgerton mag nicht einmal dieselbe Luft atmen wie dieser Mann. So tief sitzt sein Zorn, dass man ihn schon Hass nennen könnte, ein Gefühl, das bei diesem Fall nur ein schwarzer Detective empfinden kann. Edgerton ist schwarz, Eugene Dale ist schwarz, und Andrea Perry war schwarz gewesen. Die üblichen Rassenschranken sind aufgehoben. Dies erklärt auch, warum Edgerton draußen auf der Straße in den Sozialsiedlungen West Baltimores von den Leuten Dinge erfährt, die sie einem weißen Detective niemals verraten würden. Selbst der beste weiße Cop spürt immer einen Abstand, wenn er es mit schwarzen Opfern und schwarzen Tatverdächtigen zu tun hat. Sie kommen für ihn aus einer anderen Welt, so als wäre ihr Unglück die Folge einer Ghettokrankheit, gegen die er immun ist. Ein weißer Detective in einer Stadt, in der 90 Prozent aller Morde von Schwarzen an Schwarzen begangen werden, versteht vielleicht die Tragödie eines schwarzen Opfers, und er kann zwischen den Guten, die es zu rächen gilt, und den Bösen, die man verfolgen muss, unterscheiden. Doch letztlich geht es ihm nicht wirklich nahe. Auch die unschuldigsten Opfern entlocken ihm nur Mitgefühl, keinen Schmerz; die ruchlosesten Verbrecher rufen seine Verachtung, nicht seinen Zorn hervor. Diese Schranken kennt Edgerton nicht. Eugene Dale geht ihm wirklich unter die Haut, so wie ihm Andrea Perry unter die Haut geht. Sein Zorn auf den Verbrecher ist persönlicher Natur.
    Edgertons Reaktion auf Dale unterscheidet ihn vom Rest seiner Einheit, auch wenn er es den anderen nicht unter die Nase reibt: Als schwarzer Detective in einem hauptsächlich weißen Morddezernat braucht man eine gewisse Ausgeglichenheit, eine Bereitschaft, so manche Übertreibung vonseiten der weißen Kollegen zu ignorieren und die zynischen Kommentare und den bissigen Humor von Männern zu ertragen, in deren Augen die Gewalt von Schwarzen an Schwarzen die natürlichste Sache der Welt ist. Die schwarze Mittelklasse war für sie bloß eine Schimäre. Sie hatten davon gehört, sie hatten davon gelesen, aber wo es sie in Baltimore geben sollte, wussten sie nicht. Edgerton, Requer, Eddie Brown – sie waren Schwarze, und sie

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