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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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oder so.«
    Auch das ein kleiner Akt von Barmherzigkeit – doch der Ehemann nimmt ihn nicht an.
    »Schon klar«, sagt er schnell. »Ich wollte nur wissen, ob sie von diesem Typ ihre Drogen bekommen hat, mehr nicht.«
    »Nein. Die hat sie mitgebracht.«
    Der Ehemann nickt. »Ich habe es nicht geschafft, dass sie damit aufhört«, erzählt er dem Polizisten. »Ich habe sie geliebt, aber ich konnte sie nicht davon abbringen. Sie hat einfach nicht auf mich gehört. Sie hat mir sogar gesagt, wo sie heute Abend hingeht, sie wusste, dass ich sie nicht aufhalten kann …«
    »Ja«, sagt der Cop verlegen.
    »Sie war eine wunderschöne Frau.«
    Der Cop reagiert nicht.
    »Ich habe sie geliebt.«
    »Hmhm«, sagt der Cop.
    Als Waltemeyer fertig ist, fährt er schweigend ins Büro zurück. Die ganze Angelegenheit umfasst jetzt nicht mehr als anderthalb Seiten auf seinem Notizblock. Auf der St. Paul Street hat er eine grüne Welle.
    »Was war’s denn?«, fragt McLarney.
    »Nichts Besonderes. Überdosis.«
    »Junkie?«
    »Eine junge Frau.«
    »Ach ja?«
    »Hübsch.«
    Sehr hübsch, denkt Waltemeyer. Man konnte es erkennen, und wenn sie sich ein bisschen zurechtgemacht hätte, wäre sie eine Schönheit gewesen. Lange dunkle Haare. Große runde Rehaugen.
    »Wie alt?«, fragt McLarney.
    »Achtundzwanzig. Verheiratet. Ich habe sie anfangs für viel jünger gehalten.«
    Waltemeyer geht zur Schreibmaschine. In fünf Minuten ist der Fall nur noch ein Tagesbericht. In fünf Minuten kann man ihn nach dem verrutschten Pullover fragen, und er wird nicht mehr wissen, wovon die Rede ist. Doch jetzt, in diesem Moment, geht ihm die Sache unter die Haut.
    »Stell dir vor«, sagt er zu seinem Sergeant. »Kommt doch neulich mein Junge von der Schule nach Hause und sagt: ›He!, Dad, heute in der Schule hat mich einer gefragt, ob ich auf Coca steh …‹«
    McLarney nickt.
    »Und ich denke mir, Scheiße, jetzt fängt das an. Aber er grinst nur und fährt fort: ›Nee, hab ich ihm gesagt, Coca kann ich nicht ab, ich trink nur Pepsi.‹«
    McLarney schmunzelt.
    »In manchen Nächten sieht man da draußen Sachen, die einem nicht gut bekommen«, sagt Waltemeyer unvermittelt. »Weißt du, was ich meine? Die machen einem echt zu schaffen.«
    Dienstag, 1. November
    Roger Nolan nimmt den Hörer ab und blättert in der Adresskartei nach Joe Koperas Privatnummer. Dem besten Ballistiker, den die Polizei hat, steht eine Nachtschicht bevor.
    Vom Flur dröhnt lautes Hämmern herein. Es kommt von der Tür des großen Verhörraums.
    »He!, Rog«, sagt einer von Stantons Detectives, »ist das dein Kunde, der da son Radau macht?«
    »Ja. Bin gleich bei ihm.«
    Nolan hat die Nummer gefunden und erreicht Kopera, dem er rasch das Problem schildert. Als er auflegt, ist das Hämmern noch lauter geworden.
    »He!, Rog, bring dem Armleuchter Manieren bei, ja?«
    Nolan geht durchs Aquarium zum Verhörraum. Dort drin presst der Teufel selbst wutverzerrt das Gesicht gegen die Scheibe und versucht, mit um die Augen gelegten Händen durch den halb durchlässigen Spiegel zu spähen.
    »Was gibt’s denn?«
    »Muss mal auf’s Klo.«
    »So, auf’s Klo? Und wahrscheinlich auch was trinken.«
    Der Teufel muss also aufs Klo. Die Inkarnation des Bösen möchte einen Schluck Wasser.
    Nolan öffnet kopfschüttelnd die Metalltür. »Immer das Gleiche«, sagt er. »Kaum hat man einen von diesen Mistkerlen im Kasten, kriegt er ein Blasenproblem und es wird ihm schwindlig vor Durst … Na gut, komm raus, bringen wir’s hinter uns …«
    Der Tatverdächtige schiebt sich durch die Tür. Es ist ein einunddreißigjähriger Schwarzer, ein dürres Männchen mit bereits gelichtetem, kurz geschnittenem Haar und dunkelbraunen Augen. Sein Gesicht ist rund, sein breiter Mund offenbart Zahnlücken und einen beeindruckenden Überbiss. Sein Trainingsanzug ist ihm eine Nummer zu groß, seine knöchelhohen Tennisschuhe ziemlich abgetragen. Nichts an seinem Äußeren lässt auf die abscheuliche Tat schließen, die er begangen hat: Da ist nichts an seinem Gesicht, was einem Angst einjagen würde, nichts Besonderes in seinen Augen. Im Gegenteil, er sieht ziemlich gewöhnlich aus, und gerade das macht ihn verachtenswert.
    Sein Name ist Eugene Dale, und der Computerausdruck auf Harry Edgertons Schreibtisch liefert genug Material für die Karrieren von zwei Mördern: hauptsächlich Sexualdelikte und Verstöße gegen das Waffengesetz. Im Augenblick ist Dale nach neun Jahren Haft, die er wegen einer

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