Homicide
Anzeichen, dass die Barbaren vor den Toren Roms standen. Und an ihrer eingefleischten Haltung konnte auch Bertina Silver nichts ändern: Sie war eben einfach eine Ausnahme. In ungerechtfertigter, aber notwendiger Verzerrung der Realität wurde sie aus der Gleichung ausgeklammert: Weibliche Officers sind Sekretärinnen, aber Bert ist Bert. Kumpel. Partner. Cop.
Da er sie für einen der besseren Neuzugänge im Dezernat hielt, wäre Harry Edgerton einer der Letzten gewesen, sich über Bert Silver zu beschweren. Bei dieser Ansicht blieb er auch, als sich ein erbitterter und anhaltender Territorialkrieg um Edgertons Schreibtisch entspann. Nachdem Edgerton jahrelang im Büro des Morddezernats ein Fleckchenfür sich ganz allein gehabt hatte, musste er ab Anfang des Jahres auf Anweisung seinen Schreibtisch mit Bert teilen. Als er sich brummend fügte, sah er sich plötzlich in der Defensive. Erst wurde eine Ecke auf der Schreibtischplatte für so unverfängliche Dinge wie Familienfotos und die Goldstatue einer Polizistin freigeräumt, dann folgten Haarbürste und einzelne Ohrringe in der obersten Schublade. Schließlich kamen nicht enden wollende Attacken diverser Lippenstifte und zuletzt ein nach Parfüm duftender Schal, der es irgendwie immer wieder in die unterste Schublade schaffte, wo Edgerton eigentlich die Akten der Verdächtigen aus mehreren vorangegangenen Drogenermittlungen aufbewahrte.
»Jetzt reicht’s!«, sagte der Detective, zog den Schal aus der Schublade und stopfte ihn in Berts Posteingangskasten. »Wenn ich keinen Widerstand leiste, hängte sie im Vernehmungsraum noch Vorhänge auf.«
Doch Edgerton leistete keinen Widerstand, und schließlich hatte sich Bert Silver ihre Hälfte des Schreibtischs erkämpft. Und das war in Ordnung, gestand sich Harry Edgerton leise ein. Dieses junge Ding aber, das hier am Esstisch seinen Fallbericht schreibt, ist nicht Bert Silver. Trotz der Zusicherung des älteren Officers zieht Edgerton den Uniformierten zur Seite.
»Wenn sie als Erste am Tatort war, muss sie auf die Spurensicherung warten und die Beweismittelbögen ausfüllen.«
Seine Bemerkung klingt eigentlich schon fast nach einer Frage. Es kommt nicht selten vor, dass aus einem scheinbaren Selbstmord nach Begutachtung durch den Rechtsmediziner ein Mord wird, und da reicht es weiß Gott nicht, wenn jemand, der gerade der Polizeiakademie entsprungen ist, ein paar Zettelchen an die Tüten für die Spurensicherung knotet. Der Ältere versteht Edgerton auch ohne weitere Worte.
»Keine Sorge. Wir gehen die Sache mit ihr durch«, wiederholt er.
Edgerton nickt.
»Sie wird es schon schaffen.« Der Officer zuckt die Achseln. »Verdammt, sie hat mehr auf dem Kasten als so mancher andere.«
Edgerton schlägt seinen kleinen Stenoblock auf und kehrt ins Esszimmer zurück. Er stellt den beiden Uniformierten die Standardfragen, die zu jeder Ermittlung in einem Todesfall gehören.
Auf der ersten Seite hat er unter dem Datum 26. Januar in der rechten oberen Ecke bereits die Daten notiert, die er von der Leitstelle erfahren hat: »Uhrzeit 13.03/Leitst. Pl. 76/schwere Schusswunde/Leith Walk 5511.« Zwei Zeilen tiefer hat Edgerton seine Ankunftszeit am Tatort festgehalten.
Nun fügt er den Namen der jungen Beamtin, ihre Dienstnummer und ihre Ankunftszeit hinzu. Dann notiert er die Vorgangsnummer, die er auf Nachfrage erhalten hat: 4A53881 – die 4 steht für den Northeastern District, das A für den Monat Januar, und die restlichen Ziffern sind die Laufnummer des Falls. Anschließend notiert er die Dienstnummer der städtischen Ambulanz, die den Einsatz gefahren hat, und den Namen des Sanitäters, der den Tod feststellte. Unten auf der Seite hält er die Uhrzeit fest, zu der die Todeserklärung erfolgte.
»Gut«, sagt Edgerton und wendet sich zum ersten Mal mit wahrem Interesse dem Toten zu. »Wen haben wir denn da?«
»Robert William Smith«, sagt der Officer mit dem roten Gesicht. »Achtunddreißig … nein, neununddreißig Jahre alt.«
»Wohnt er hier?«
»Wohnte, ja.«
Edgerton schreibt den Namen auf die zweite Seite, gefolgt von m/w/39 und der Adresse.
»War irgendjemand hier, als es passiert ist?«
Die Polizistin setzt zu reden an. »Seine Frau. Sie hat auch den Notruf gewählt. Sie sagt, sie war oben, und er hat unten sein Gewehr gereinigt.«
»Wo ist sie?«
»Wurde ins Krankenhaus gebracht. Schock.«
»Haben Sie vorher noch mit ihr gesprochen?«
Die Frau nickt.
»Halten Sie auf einem Ergänzungsbogen fest,
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