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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Baltimore jemand gewaltsam zu Tode kommt, der erste Detective, der vor Ort eintrifft, hat das Sagen; niemand kann dem Primary Detective vorschreiben, was er zu tun oder zu lassen hat. Der Polizeichef, die beiden stellvertretenden Polizeichefs, die Colonels, Majors – sie alle müssen sich am Tatort den Anweisungen dieses Detective beugen. Natürlich ist es nicht gerade oft vorgekommen, dass ein Detective einem Deputy Commissioner, einem stellvertretenden Polizeichef, am Tatort widerspricht. Und eigentlich weiß auch niemand genau, was passieren würde, wenn ein Detective es tatsächlich einmal täte – man müsste erst einmal einen Irren finden, der sich das traut, so die allgemeine Meinung. Donald Kincaid, einer der dienstältesten Detectives von D’Addarios Truppe, schrieb zehn Jahre zuvor Polizeigeschichte, als er einen Tactical Commander – im Rang nicht höher als ein Captain – kurzerhand aus einem Motelzimmer in der Innenstadt warf. Und zwar aus gutem Grund, schickte sich dieser Commander doch an, ein Dutzend seiner Leute an Kincaids noch kaum in Augenschein genommenem Tatort herumstolpern zu lassen. Die Sache zog eine Menge Berichte und Verwaltungshickhack nach sich, was weitere Berichte, Antwortschreiben und die Beantwortung von Antwortschreiben erforderte, bis Kincaid schließlich in das Büro des stellvertretenden Polizeichefs zitiert wurde, wo man ihm in aller Ruhe auseinandersetzte, dass er die Regeln korrekt angewendet habe,dass seine Autorität in dieser Sache nicht angezweifelt werde und dass man voll und ganz hinter ihm stehe. Voll und ganz. Und wenn es ihm einfiele, sich wegen des gegen ihn angestrengten Disziplinarverfahrens an den Beschwerdeausschuss zu wenden, dann würde es sicher auch niedergeschlagen. Er könne sich in diesem Fall auch ganz sicher sein, vom Morddezernat abkommandiert zu werden und wieder Streife in einem der südlichen Vororte von Philadelphia laufen zu dürfen. Wenn er andererseits bereit wäre, fünf Tage gestrichenen Urlaub als Disziplinarmaßnahme zu akzeptieren, dürfe er als Detective weitermachen. Kincaid erkannte die goldene Brücke und nutzte sie. Logik ist nun einmal nicht unbedingt das, was die Polizei im Innersten zusammenhält.
    Die Herrschaft, die einem Detective über das Fleckchen Erde gegeben ist, auf dem eine Leiche gefunden wird, sagt viel über die Bedeutung, aber auch die flüchtige Natur des Tatorts aus. Die Leute vom Morddezernat erinnern einander – und jeden, der es hören will – gerne daran, dass ein Detective am Tatort nur eine einzige Chance und nicht viel Zeit hat. Kaum hat er getan, was er kann, sind die gelben Flatterbänder der Polizei auch schon wieder verschwunden. Die Feuerwehr spült mit dem Schlauch die Blutflecken weg, die Labortechniker fahren zu ihrem nächsten Einsatzort, und das Viertel erobert sich das Stückchen Asphalt zurück.
    Vom Fundort der Leiche stammen die meisten Spuren, und sie stellen die erste der drei Säulen dar, auf denen die Aufklärungsarbeit eines Detective ruht:
    Spuren.
    Zeugen.
    Geständnisse.
    Ohne die ersten beiden Elemente hat ein Detective kaum die Chance, einem Tatverdächtigen das dritte abzuringen. Bei einem Mordfall sind alle Bemühungen unweigerlich dadurch begrenzt, dass das Opfer – anders als bei einem Raubüberfall, einer Vergewaltigung oder einer Körperverletzung – nicht mehr viele Informationen beisteuern kann.
    Was bei den drei Säulen der Ermittlungsarbeit völlig fehlt, ist das Motiv. Tatsächlich spielt es in den meisten Ermittlungen kaum eine Rolle. Zwar wird in den großen Krimis von Dashiell Hammett oder Agatha Christie immer wieder betont, dass die Jagd nach dem Mördermit der Suche nach dem Motiv beginnt, doch zumindest in Baltimore, wenn nicht vielleicht sogar im Orient-Express, mag die Kenntnis des Motivs zwar interessant sein, trägt aber oft genug wenig zur Aufklärung des Falls bei. Scheiß auf das »Warum«, so die Devise des Detective – konzentriere dich ganz auf das »Wie«, in neun von zehn Fällen führt es dich zum »Wer«.
    So ist das nun mal, auch wenn es der allgemeinen Auffassung zuwiderläuft und schon manche Jury nicht schlecht staunte, wenn ein Detective im Zeugenstand erklärte, er habe keine Ahnung, warum Tater dem armen Pee Wee fünf Kugeln in den Rücken gejagt hat, und dass ihm das auch völlig egal sei. Pee Wee kriegt den Mund nicht mehr auf, und Tater will ihn nicht aufmachen. Aber hier ist die Pistole, hier sind die Kugeln, das ballistische Gutachten

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