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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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antwortet Landsman. »Der Tatort liegt garantiert im selben Viertel. Wahrscheinlich wohnt der Mörder ein paar Häuser weiter im selben Block und hat sie sich direkt vor seiner Hintertür geschnappt … Oder er hat’s in einem leer stehenden Haus oder in einer Garage oder so etwas gemacht.«
    Die Besprechung zerfällt bald in kleinere Gruppen von Detectives, denen Landsman einzelne Aufgaben zugewiesen hat.
    Als Primary liest sich Pellegrini die Aussagen von Verwandten und Bekannten durch, die ein halbes Dutzend Detectives am Morgen gesammelt haben. Er versucht, sie wie Teile eines Puzzles zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Die Antworten der Familienmitglieder des Opfers, von Schulfreunden, von dem dreiundfünzigjährigen Bewohner in der Newington Avenue 718, der die Leiche entdeckte, als er am Morgen den Müll hinaustrug. Pellegrini sucht nach einem ungewöhnlichen Satz, einem Widerspruch, nach irgendetwas Auffälligem. Bei einigen Befragungen war er dabei; andere fanden statt, als er bei der Autopsie war. Nun versucht er, den Rückstand an Informationen aufzuholen, den Überblick in diesem sich in alle Richtungen verzweigenden Fall zu behalten.
    Zur gleichen Zeit sitzen Edgerton und Ceruti im Nebenbüro, inmitten einer Ansammlung brauner Tüten der Spurensicherung, in denen die Ausbeute der morgendlichen Autopsie gesammelt ist: Schuhe, blutbefleckte Kleidungsstücke, Abstriche von den Fingernägeln des Opfers, die auf mögliche Spuren von DNA oder die Blutgruppe untersucht werden, Haare, die am Opfer gefunden wurden, die teils von einer schwarzen, teils von einer weißen Person stammen und von denen völlig unklar ist, ob sie etwas mit dem Verbrechen zu tun haben.
    Funde von Fremdhaar werden stets sorgfältig geprüft, obwohl die Detectives des Morddezernats von Baltimore nicht viel darauf geben. Nur in den seltensten Fällen – wenn es sich um das Haar eines Weißen mit einer auffälligen Haarfarbe handelt – lässt sich ein solcher Fund überhaupt halbwegs vernünftig einem Tatverdächtigen zuordnen. Speziell bei negroidem und dunklerem Haar von Weißen kommen die Rechtsmediziner selten über die Feststellung hinaus, dass das Haar eines Verdächtigen dieselben Charakteristika wie das gefundene besitzt. DNA-Analysen, die mit großer Sicherheit Spuren einem einzelnen Verdächtigen zuordnen können, werden zwar immer häufiger eingesetzt, liefern aber die besten Ergebnisse bei Blut- und Gewebeproben. Will man die DNA eines menschlichen Haars einem Tatverdächtigen zuordnen, braucht man schon ein komplettes Haar mit intakter Wurzel. Hinzu kommt, dass Landsman und viele andere Detectives starke Zweifel an der Zuverlässigkeit der Spurenanalyse in der Rechtsmedizin haben, wo jeden Tag unter beengten Verhältnissen eine große Anzahl von Autopsien durchgeführt wird, was Verunreinigungen unvermeidlich macht. Die Haare, die man an Latonya Wallace fand, könnten ebenso gut von dem Plastikbezug auf der Bahre oder dem Tuch stammen, mit dem man sie vor der Autopsie gereinigt hat. Es kann sich um Haare von den Rechtsmedizinern, den Ermittlern oder auch den Rettungssanitätern handeln, die den Tod des Kindes festgestellt haben, oder gar von der letzten Leiche, die auf derselben Bahre oder demselben Untersuchungstisch gelegen hat.
    Edgerton macht sich daran, die Laborformulare auszufüllen: Ein roter Regenumhang, Blutflecken. Eine rote Jacke, Blutflecken. Ein Paar blaue Regenschuhe. Antrag: Blut- und Spurenuntersuchung. Spezialuntersuchung auf Fingerabdrücke.
    Andere Detectives sammeln und katalogisieren Zeugenaussagen für die Fallakte oder sitzen vor den Schreibmaschinen und hämmern ihre Tagesberichte zusammen. Wieder andere sammeln sich vor dem Computer und durchforsten die Vorstrafenregister zu nahezu jedem Namen, den die erste Überprüfung der Nordseite des 700er-Blocks an der Newington Avenue ergeben hat – sechzehn Häuser, deren Rückseiten alle auf das Gelände hinausgehen, auf dem die Leiche gefunden wurde.
    Die Ergebnisse der Computeranfragen zeichnen für sich schon ein Sittenbild dieser Stadt. Nachdem Pellegrini mit den Zeugenaussagen fertig ist, liest er jeden einzelnen Ausdruck durch. Bald ermüden ihn die Wiederholungen. Mehr als die Hälfte der vier Dutzend eingegebenen Namen fördert mehrseitige Berichte über Konflikte mit dem Gesetz zutage. Bewaffneter Raubüberfall, Körperverletzung, Vergewaltigung, Diebstahl, unerlaubter Waffenbesitz – an krimineller Energie mangelt es in Reservoir Hill nicht.

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