Homicide
Ansehen der Polizei Schaden zugefügt«. Eine Woche später lehnte der Polizeichef eine milde Bestrafung oder gar Rehabilitierung des Detective ab und folgte der Empfehlung des Untersuchungsausschusses, McCown aus dem Dienst zu entlassen.
»Miami hat uns Gerechtigkeit gebracht«, erklärte der örtliche Kopf der NAACP. Doch für die Polizisten auf der Straße war nun klar, dass ihre Behörde, die einst selbst die krassesten Fälle von Brutalität gedeckt hatte, zum Rückzug blasen würde. Es ging nicht mehr um die Frage, ob der Schusswaffeneinsatz gegen Ja-Wan McGee gerechtfertigt war oder nicht. Jeder Cop, der nach seiner Dienstwaffe griff, fürchtete sich vor einem Feuerzeug neben einem zum Krüppel geschossenen Siebzehnjährigen. Die Frage war, ob die Polizei wirklich bereit war, sich von einer der größten Illusionen ihrer Arbeit zu verabschieden: dass der Schusswaffengebrauch eines guten Polizisten immer und unter allen Umständen gerechtfertigt ist.
Eine Nation von Waffennarren mit einem Hang zur Gewalt stattet ihre Gesetzeshüter natürlich nicht nur mit Waffen aus, sie erlaubt ihnen auch, sie zu benutzen. Nur ein Cop besitzt in den Vereinigten Staaten das Recht, nach freier persönlicher Abwägung jemanden zu töten. Dazu hatte man Scotty McCown und dreitausend anderen Männern und Frauen eine 38er Smith & Wesson in die Hand gedrückt und sie auf die Straßen von Baltimore geschickt. Zu diesem Zweck hatten sie auf der Polizeiakademie ein mehrwöchiges Schießtraining absolviert, das sie einmal jährlich in der Schießanlage der Polizei auffrischten. Zusammen mit der individuellen Urteilsfähigkeit eines Officers hält man das für eine ausreichende Befähigung, in jeder Situation die richtige Entscheidung zu treffen.
Doch das ist eine Lüge.
Es ist eine Lüge, an der die Polizei festhält, damit nicht der Mythos ihrer Unfehlbarkeit erschüttert wird, auf dem ihre Berechtigung zum Einsatz tödlicher Gewalt beruht. Und es ist eine Lüge, an der die Öffentlichkeitfesthalten möchte, weil ihr die Wahrheit zu kompliziert ist. Die zweifelsfreie Gewissheit, der Mythos der Perfektion, der unserer Kultur so wichtig ist, sie hätten verlangt, dass Scotty McCown vor seinen drei Schüssen eine Warnung geäußert, dass er sich als Polizist zu erkennen gegeben und Ja-Wan McGee aufgefordert hätte, seine Waffe fallen zu lassen. Sie hätten erfordert, dass McCown dem Jungen Zeit zur Entscheidung gelassen oder notfalls seine Waffe dazu benutzt hätte, ihn kampfunfähig zu schießen und anschließend zu entwaffnen. Ein Detective, der all dies nicht beachtet, ist entweder mangelhaft ausgebildet oder verantwortungslos, und wenn dieser Detective ein Weißer ist, wirft man ihm unvermeidlich vor, ein Rassist zu sein und in jedem schwarzen Teenager mit einem glänzenden Feuerzeug einen bewaffneten Räuber zu sehen. Niemand interessiert, dass ein Warnruf dem Schützen jeden Vorteil nimmt, dass der Tod genau in jenem Augenblick zuschlagen kann, in dem ein Cop seine Marke zieht oder einen Verdächtigen auffordert, seine Waffe fallen zu lassen. Es spielt auch keine Rolle, dass in einer in Sekundenbruchteilen ablaufenden Konfrontation ein Polizist von Glück reden kann, wenn er aus einer Entfernung von sechs Metern sein Gegenüber überhaupt nur trifft – er hat gar keine Zeit, auf die Beine oder Arme zu zielen oder gar einem Verdächtigen die Waffe aus der Hand zu schießen. Und es spielt auch keine Rolle, ob ein Cop ein ehrenwerter Mann ist, ob er sich wirklich in Gefahr glaubt, ob ihm der Schuss auf einen Schwarzen genauso an die Nieren geht wie der auf einen Weißen. McCown war ein guter Mann, aber er hat seine 38er einen Sekundenbruchteil zu früh abgedrückt, und in dieser kaum messbaren Zeitspanne wurden das Opfer und der Schütze in ein und dieselbe Tragödie verwoben.
Für die Öffentlichkeit, insbesondere natürlich die schwarze Bevölkerung, wurde der Fall Ja-Wan McGee zum lang herbeigesehnten Sieg über eine Polizei, unter der Generationen von Schwarzen gelitten hatten. Zu viel Unheil war zu lange gerechtfertigt worden. Dass Scotty McCown weder ein unfähiger Polizist noch ein Rassist war, spielte da keine Rolle – nicht nur bei der Polizei in Baltimore, überall in Amerika zahlten nun die Söhne für die Sünden ihrer Väter.
Dem Cop auf der Straße, egal, ob weiß oder schwarz, zeigte der Fall McGee eindrücklich, dass er von nun an auf sich gestellt war, dass dasSystem ihn nicht länger schützen würde. Um ihre
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