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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Eigentlich kaum vorstellbar, dassein Detective absichtlich etwas ausplauderte, was die Ermittlungen erschwerte.
    Nein, denkt Worden und wischt den Gedanken beiseite. Die Story konnte zwar nur aus Polizeikreisen stammen, aber bestimmt nicht von einem Detective des Morddezernats. Eine wahrscheinlichere Quelle waren die Anwälte der Polizeigewerkschaft, die vielleicht einige Officers aus der Schusslinie nehmen wollten, indem sie den neuen Zeugen zum Verdächtigten erhoben. Das ergab durchaus Sinn, zumal einer der Anwälte am Ende des Artikels namentlich angeführt war.
    Andererseits wissen Worden und James auch, dass der Zeitungsartikel im Großen und Ganzen korrekt und auf dem neuesten Stand der Ermittlungen ist – allenfalls wurde ein wenig zu sehr Gewicht darauf gelegt, dass der neue Zeuge aus der Nachbarschaft selbst zum Kreis der Verdächtigen gehören könnte; sonst stimmte alles. Für Worden und James zeigt das eindeutig, dass Twiggs Quelle nahe genug an der Ermittlung dran ist, um die Fakten richtig einzuschätzen. Das heißt: Selbst wenn die Gewerkschaftsanwälte die eigentliche Quelle des Journalisten sind, dann müssen sie immer noch Insiderinformationen über die Ermittlungen erhalten haben.
    Für Worden offenbart der Zeitungsartikel das ganze Dilemma mit den Ermittlungen zum Fall Monroe Street: Er dreht sich im Kreis. Und das ist kein Wunder. Wenn Cops gegen Cops ermitteln, dann ist das normalerweise Aufgabe der Innenrevision, einer Einheit von Detectives, die eigens für die undankbare Aufgabe abgestellt und ausgebildet sind, ihren Kollegen auf die Finger zu schauen. Sie haben ein eigenes Büro in einem anderen Stockwerk und Vorgesetzte, die dafür bezahlt werden, Straftaten vereidigter Polizisten zu verfolgen. Ein Mitglied der Innenrevision gerät bei seiner Arbeit nicht in Loyalitätskonflikte mit seiner Dienststelle und seinen Kollegen, er fühlt sich allein dem System, dem Polizeiapparat als solchem, verpflichtet. Die Kollegen danken es ihm häufig mit dem Titel »Nestbeschmutzer«.
    Weil die Uniformierten, die John Scott verfolgten, nun allesamt zum Kreis der Tatverdächtigen gehörten, hätte Monroe Street eigentlich ein klassischer Fall für die Innenrevision sein müssen. Da John Scott aber ermordet worden war, galt das nicht. Es ging um ein Verbrechen, das in den Verantwortungsbereich des Morddezernats fiel.
    Auch Worden fühlte sich hin und her gerissen. Ein Vierteljahrhundert in einem Beruf ist keine Kleinigkeit, und für Worden bedeuteten seine Jahre in Uniform alles. Er schleppte ein wenig von Norman Buckman mit sich herum, auch ein wenig von Scotty McCown. Zugleich aber fühlte er sich der Ermittlung im Fall Monroe Street verpflichtet, weil neben dem Namen John Scott in Rot geschrieben sein Buchstabe auf der Tafel stand. Es war ein Mord – sein Mord. Und sollte es einem Cop an Herz und Hirn gefehlt haben, die Leiche zu melden, so war Worden nicht geneigt, ihn zu decken.
    Irgendwie machte es die Sache für Worden leichter, dass sich viele Officers, die mit der Sache zu tun hatten, wie Zeugen in einem ganz normalen Mordfall verhalten hatten. Einige hatten ihn wissentlich belogen, andere nur ausweichend geantwortet – ehrlich war keiner gewesen. Weder Worden noch James waren besonders glücklich, wenn sie Männer in Uniform vernahmen, die ihnen ungeniert ans Bein pinkelten und dabei frech behaupteten, es würde regnen. Und aus den Districts kam auch keine Hilfe. Es war nicht so, dass ununterbrochen das Telefon geklingelt hätte, weil Kollegen nicht in die Schießerei eines anderen Cops hineingezogen werden wollten, fürchteten, plötzlich in den Brennpunkt der Ermittlungen zu geraten, und für sich einen Deal aushandeln wollten. Offenbar lautete die Parole: Das Morddezernat hat nichts in der Hand. Selbst wenn ein Cop in die Tat verwickelt war, niemand würde das Schweigen brechen, solange alle davon ausgehen konnten, dass die Ermittlungen im Sand verlaufen würden.
    Auch das war eine Folge von zu viel Gerede, zu vielen Kreuz- und Querverbindungen zwischen dem Morddezernat und dem Rest der Polizei. Zwei Monate lang hatten Worden und James eine Ermittlung vor den Augen der möglichen Tatverdächtigen und Zeugen durchgeführt. Alles, was sie taten, verbreitete sich in Windeseile über den Flurfunk. Der Zeitungsartikel war dafür nur ein besonders augenfälliges Beispiel.
    Scheiß drauf, denkt Worden, klemmt sich eine Zigarre zwischen die Zähne und macht sich auf den Weg zur Toilette. Wenigstens

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