Homicide
der Bürgermeister von Baltimore den Bericht des IACP zu Herzen nahmen und den Mann, der ihn geschrieben hatte, kurzerhand einstellten.
Mit Pomerleau endete für die Polizei von Baltimore die Steinzeit. Fast über Nacht begann die Polizeiführung nun, Kontakte zur Bevölkerung zu knüpfen, Präventionsmaßnahmen einzuführen und moderne Techniken der Strafverfolgung anzuwenden. Es entstanden stadtweit operierende Bereitschaftseinheiten, und es wurden moderne Sprechfunkgeräte angeschafft, die die Telefonsäulen ersetzten, auf die die meisten Streifenpolizisten immer noch angewiesen waren. Der Schusswaffeneinsatz von Polizisten wurde von nun an systematisch erfasst, und allein schon diese Berichtspflicht machte einen großen Unterschied. Zusammen mit dem Druck, den die Bevölkerung ausübte, schob sie doch allzu krassen Brutalitäten einen Riegel vor. Andererseits war es gerade Pomerleau, der sich lange gegen die Schaffung eines zivilen Aufsichtsgremiums wehrte, indem er hoch und heilig versicherte, die Polizei von Baltimore sei in der Lage, Vorwürfen von Willkür und Gewalt selbst nachzugehen. Die Folge war, dass die Polizisten Ende der Sechziger und in den frühen Siebzigern beim Einsatz in den Straßen bald herausfanden, wie man seine Einsatzberichte so frisierte, dass ein unsauberer Schusswaffeneinsatz tadellos aussah und ein tadelloser mustergültig.
In der Folge wurde es in sämtlichen Polizeibezirken von Baltimore üblich, dass die Polizei den Tatverdächtigen Waffen unterjubelte. Legendär für jene Ära der Polizeigeschichte von Marylands größter Stadt war eine Festnahme mit Schusswaffeneinsatz in den 1970er-Jahren. Es geschah in einer Seitenstraße der Pennsylvania Avenue. Fünf Detectivesvom Drogendezernat standen in der Dunkelheit bereit, ein Haus zu stürmen. Urplötzlich lag Gewalt in der Luft, und vom Nachbargrundstück rief ihnen jemand zu, ein Mann mit einem Messer sei unterwegs.
Einer der Detectives verlor die Nerven und feuerte alle sechs Patronen ab. Hinterher behauptete er, lediglich einmal abgedrückt zu haben. Jedenfalls bis er sich seine Waffe genauer ansah. Er stürmte auf das Gelände hinter dem Haus und fand dort den Verdächtigen auf dem Rücken liegend, um sich herum fünf Messer.
»Da ist sein Messer«, sagte ein Cop.
»He!, son Scheißmesser benutz ich nicht«, stöhnte der Verwundete und zeigte auf ein anderes Springmesser, das ein Stückchen entfernt lag. »Das da ist mein Messer!«
Doch die untergejubelten Waffen waren keine Dauerlösung, dieser Notbehelf verlor an Wirkung und wurde gefährlich, als die Öffentlichkeit auf diese Taktik aufmerksam wurde. Am Ende, als sich die Beschwerden über willkürliche Gewaltanwendung häuften und das Wort Polizei zum Synonym für Brutalität wurde, blieb den Gesetzeshütern nur der Rückzug. Für Donald Worden hatte das Ende der Polizei alter Schule von Baltimore ein exaktes Datum. Es war der 6. April 1973, als ein vierundzwanzigjähriger Streifenpolizist namens Norman Buckman mit sechs Kopfschüssen aus seiner eigenen Dienstwaffe auf offener Straße in Pimlico getötet wurde. Zwei Kollegen, die einen Block weiter die Schüsse gehört hatten, eilten die Quantico Avenue hinunter. Ein junger Kerl stand über der Leiche des Officers, die Mordwaffe lag auf dem Boden.
»Ja«, sagte er, »ich hab’ den Wichser abgeknallt.«
Statt ihre Magazine zu leeren, legten ihm die Polizisten bloß Handschellen an und führten ihn ab. In den Straßen von Baltimore, in denen einst ein von beiden Seiten anerkannter Kodex geherrscht hatte, gab es nun tote Polizisten und lebende Polizistenmörder.
Worden brachte das in einen Zwiespalt. Einerseits wusste er, dass die alten Methoden nicht in Ordnung waren und es so nicht weitergehen konnte, andererseits war Buckman sein Freund gewesen, ein junger Streifenpolizist, der sich die Hacken abgelaufen hatte, um in Wordens Einsatztruppe im Northwest District aufgenommen zu werden. Als ihn sein Lieutenant zu Hause aus dem Bett holte, sprang Wordenrasch in seine Kleider. Er traf ungefähr gleichzeitig mit einem Dutzend anderer Polizisten auf der Wache ein. Buckmans Mörder sollte gerade ins Gefängnis transportiert werden. Die offizielle Geschichte lautete, der Verdächtige habe über Bauchschmerzen geklagt, als er erkennungsdienstlich behandelt und fotografiert wurde. In der Stadt wussten alle, woher die Schmerzen wirklich kamen. Und als die Schwarzenzeitung von Baltimore, der
Afro-American,
einen Fotografen ins
Weitere Kostenlose Bücher