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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Autorität zu wahren, musste die Polizei nun nicht nur die Männer aus dem Dienst entlassen, die an die Wirksamkeit brutaler Methoden glaubten, sondern auch jene, die in Extremsituationen die falsche Entscheidung trafen. Ließ sich der Gebrauch einer Schusswaffe rechtfertigen, dann war alles in Butter, obwohl noch beim eindeutigsten Fall immer jemand vor eine Kamera trat und erklärte, die Polizei habe wieder einmal einen kaltblütigen Mord begangen. Handelte es sich um einen Grenzfall, konnte man immer noch mit Deckung rechnen, vorausgesetzt, man wusste, wie man seinen Bericht zu schreiben hatte. Ließ sich aber der Schusswaffengebrauch nicht rechtfertigen, dann saß man in der Tinte.
    Es war klar, was das für die Polizei und die Stadt bedeutete. Jeder Cop, der die Ereignisse der letzten Jahre verfolgt hatte, verstand, dass der Fall Monroe Street mit den tragischen Schüsse auf den Siebzehnjährigen in dem Imbiss in Zusammenhang gebracht würde. Möglich, dass John Scott von einem Polizisten getötet wurde; vielleicht war es sogar ein geplanter Mord gewesen, obwohl sich Worden genauso wenig wie irgendjemand sonst vorstellen konnte, dass ein Cop seine Karriere und seine Freiheit aufs Spiel setzt, nur um einen Autoknacker umzulegen. Wahrscheinlicher war, dass John Scott in einem Handgemenge am Ende einer Verfolgungsjagd ums Leben kam, in einer Sekunde der Panik und blitzartigen Entscheidung auf einem dunklen Weg. Vielleicht hatte jemand an Norman Buckman oder einen anderen Cop gedacht, die zu lange gezögert hatten, seine Pistole gezogen und den Abzug halb durchgedrückt. Und während der Schuss noch nicht verhallt war, hatte vielleicht ein Cop in Panik zu überlegen begonnen, wie er den Vorfall schildern sollte und wie die Geschichte für ihn ausgehen würde. Vielleicht dachte ein Cop aus Baltimore an Scotty McCown, als er sich ohne Einsatzbeleuchtung aus der Monroe Street davonmachte.
    »Roger Twigg hat unseren ganzen Scheiß rumposaunt«, sagt Rick James, der den Artikel ein zweites Mal liest. »Jemand hier muss ihm was gesteckt haben, yo.«
    Donald Worden blickt seine Partner an, sagt aber nichts. Im Hauptbüro geht D’Addario die letzten Punkte auf seiner Liste durch. Zwei Dutzend Detectives der Dezernate Mord, Raub und Sexualdeliktedrängen sich um ihn, lauschen wie an jedem Morgen dem Verlesen der Fernschreibermeldungen, Sonderaufträgen, Rundschreiben. Auch Worden hört zu, ohne auf den Inhalt zu achten.
    »Das ist das Problem bei dieser ganzen Scheißermittlung«, sagt er schließlich und holt sich den zweiten Kaffee. »Wir sind hier so dicht wie ein Sieb.«
    James nickt und wirft die Zeitung auf Waltemeyers Schreibtisch. D’Addario beendet den Morgenappell, und Worden kommt aus der Kaffeeküche. Er schaut in die Gesichter von mindestens einem halben Dutzend Männer, die eng mit den Polizisten vom Western und Central District zusammengearbeitet haben, gegen die nun im Mordfall Scott ermittelt wird. Ein unangenehmer Gedanke drängt sich Worden auf: Jeder von ihnen könnte der Informant gewesen sein.
    Ja verdammt, noch nicht einmal seinen eigenen Sergeant kann Worden von dem Verdacht ausnehmen. Terry McLarney ging es ziemlich gegen den Strich, dass gegen Cops ermittelt wurde, noch dazu gegen ehemalige Kollegen aus dem Western District. Das hatte er auch deutlich zum Ausdruck gebracht, als die Leiche von John Scott noch auf der Straße lag, und deshalb hatte man ihm auch die Monroe-Sache abgenommen.
    Für McLarney war der Gedanke, dass seine Detectives eingesetzt wurden, um gegen seine alten Kumpel vom Western District zu ermitteln, eine Ungeheuerlichkeit. McLarney war in diesem gottverlassenen District Sergeant gewesen, bevor er 1985 wieder ins Morddezernat zurückkehrte. Um Haaresbreite hätte es ihn dort erwischt, wie ein Hund war er bei der Verfolgung eines Räubers auf der Arunah Avenue niedergeschossen worden, und er hatte gesehen, wie anderen seiner Leute dasselbe passiert war. Nein, wer im Western District gegen Cops ermitteln wollte, konnte nicht auf McLarney zählen. Seine Welt kannte nicht viele Grautöne. Die Cops waren die Guten, die Verbrecher die Bösen, und sollten die Cops doch mal nicht die Guten gewesen sein – nun, dann waren sie immer noch Cops.
    Trotzdem, McLarney ein Informant? Worden bezweifelt es. McLarney maulte und nölte herum und ließ die Finger von der Scott-Sache, aber dass er bereit war, seine eigenen Detectives in die Pfanne zu hauen, das glaubte Worden dann doch nicht.

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