Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
langsam und dann immer schneller an weltpolitischem Einfluss. Mit unserer Finanzmacht beeinflussten wir die politische Entwicklung in Europa maßgeblich, wir drängten den Einfluss der USA in Europa zurück und gehen heute davon aus, Europa politisch und wirtschaftlich unter unserer Kontrolle zu haben. Aus militärischer Sicht können wir Europa deshalb vernachlässigen.
Um 2020 gelang es uns endlich, die geopolitischen Kräfteverhältnisse zwischen uns und den USA zu unseren Gunsten zu verschieben. Die Integration Nordkoreas als Teilstaat Chinas und die Übernahme einer Reihe von Inselgruppen im Chinesischen Meer und im Pazifik, um die wir uns jahrzehntelang vor allem mit Japan stritten, untermauerten unsere Vormachtstellung im pazifischen Raum. Wir wurden damals zwar weltweit kritisiert, doch die Ohnmacht der anderen Staaten, insbesondere der USA, zeigte sich mehr als deutlich.
Einschneidend für uns war zuvor der Baltimore Act von 2016, der uns kalt erwischte. Wir standen unmittelbar vor einem Krieg mit den USA – den ich damals befürwortete und immer noch befürworten würde. Niemand rechnete damit, dass die USA in einer Nacht- und Nebelaktion mit dem Baltimore Act eine Währungsreform sowie einen radikalen Schuldenschnitt durchsetzen würden. Das war wohl der größte Raubzug aller Zeiten und China war einer der am stärksten betroffenen Gläubiger.“
„Doch diese Aktion hat die USA innenpolitisch erschüttert und sie viel Freundschaft und Sympathie, insbesondere in Europa, gekostet. Das hat es uns später erleichtert, sie zurückzudrängen“, warf Feng ein.
„Das ist richtig. Allerdings haben die USA damals auch die Grundlage für ihr Wiedererstarken geschaffen. Seit einigen Jahren machen die USA im pazifischen Raum verlorenes Terrain wieder gut.“
„Was verständlich ist. Wirtschaftlich ist der pazifische Raum heute weltweit führend. Aus diesem Grund liegt er im geostrategischen Interesse aller Staaten, auch der USA. Der Lebensstandard in den Wirtschaftszentren Asiens ist dieser Tage der höchste der Welt“, ergänzte Feng.
Der General nickte und fuhr fort: „Es gibt noch zwei große Machtblöcke: die USA und China. 2016 haben schon viele die USA abgeschrieben, ich warnte vor ihrem Wiedererstarken. Jetzt sind sie wieder da und wir haben uns arrangiert. Beide Seiten achten argwöhnisch auf ihre Einflussbereiche und teilen ansonsten den Welthandel und die Ressourcen unter sich auf.“
„Langfristig sehen Sie aber einen größeren Konflikt?“, fragte Feng.
„In zwanzig, dreißig Jahren sicher. Es wird früher oder später zu einem ultimativen Machtkampf kommen, davon bin ich überzeugt.“
„Und darauf wollen Sie unsere Streitkräfte vorbereiten?“
Der General nickte. Er wusste, dass Feng ihm jetzt sagen würde, wie er sich entschieden hatte.
„Herr General, ich sehe es ähnlich. Ich beauftrage Sie mit der Reorganisation und Neuausrichtung der Streitkräfte. Ich gebe Ihnen für die Entwicklung der Dong-Doktrin, wie wir sie nennen werden, ein Jahr Zeit, also bis Mitte 2035. Ab dann soll das gesamte Offizierskader nach dieser Doktrin geschult und darauf eingeschworen werden.“
„Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. Mit aller Bescheidenheit bitte ich Sie, mir nicht zu viel Ehre zukommen zu lassen, indem Sie die Doktrin nach mir benennen.“
„Mein lieber General, Ihnen gebührt diese Ehre. Außerdem schätzt und verehrt man Sie und das möchte ich mir zum Wohle Chinas zunutze machen. Es ist entschieden. Bevor Sie gehen, habe ich aber noch eine Bitte.“
Dem General war klar, dass es sich um einen Befehl handelte. Feng aktivierte sein myCom, rief ein Dokument auf und sendete es an den General. „Ich habe Ihnen gerade ein Konzept mit dem Titel Drachengeburt übermittelt. Integrieren Sie dieses Konzept in Ihre Doktrin und später in die Ausbildung der Offiziere. Das Konzept ist in den letzten Tagen entstanden. Es soll einem möglichen Militärputsch jegliche Grundlage entziehen.“
Bradley und Sarah Roberts
Bradley und seine Frau Sarah saßen verkrampft in einem Sitzungszimmer der Londoner Niederlassung der Kanzlei Keith & McPlouth, einem der größten US-amerikanischen Rechtsanwaltsbüros. Der Raum war luxuriös eingerichtet, edles Holz, schwere Ledersessel und Originalgemälde an den Wänden. Selbst das Service, aus denen sie ihren Tee tranken, war reiner Luxus, Kanne, Tassen sowie Untertassen feinstes Porzellan, Tablett, Besteck, Milchkanne, Zuckerdose schweres
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