Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
vollkommen überrascht und ließ sich überwältigen. Noch im Büro Fengs hatte der Sicherheitsdienst mit seiner Befragung begonnen, nur eine Stunde später hatten sie die ersten Namen der Mitverschwörer.
Feng öffnete die Augen und nickte To Zhang zu, der aufstand und sich auf eine Geste Fengs hin ihm gegenüber ins Gras setzte.
„Wie viele?“
„Bisher zweihundertachtundvierzig.“ Zhang aktivierte die Projektionsfläche seines myComs und richtete sie so aus, dass Feng die Namen lesen konnte. Feng las sie ohne etwas zu sagen, sein Gesicht verriet nicht, was er dachte. Das Urteil war bereits gefällt, keiner der Verschwörer würde überleben.
„Es war kein Militärputsch?“, fragte er.
„Am Anfang gingen wir davon aus, aber nein, der General wurde instrumentalisiert. Er ist todkrank, deswegen war er der perfekte Attentäter, er hatte nichts zu verlieren.“
„Familie?“, fragte Feng nach.
„Nur entfernte Verwandte, die Eltern schon lange tot. Seit fünfzehn Jahren geschieden, keine Geschwister. Sein einziger Sohn hat sich mit vierzehn das Leben genommen.“
„Die anderen Generäle?“
„Nicht zu unterschätzende Mitläufer. Die Drahtzieher sind die drei Minister. Trotzdem sollten die gesamte Generalität und die höheren Offiziersränge gründlich durchleuchtet werden.“
„Beiyuan Dong?“
„Er war nicht beteiligt. Wir haben auch keine engere Beziehung zu einem der Verschwörer gefunden. Er ist wie angeordnet hier und wartet im Haus.“
„To, du weißt, was du zu tun hast, schick mir jetzt Beiyuan Dong.“
Feng schaute To Zhang nach, erhob sich aus dem Lotussitz und ging zu einem kleinen Pavillon, in dem zwei gemütliche Korbsessel und ein kleiner Tisch mit Getränken, Besteck und einer reich gefüllten Obstschale standen. Er griff nach einem Apfel und biss herzhaft hinein.
Er beobachtete, wie Beiyuan Dong den Park betrat, sich kurz umsah, ihn im Pavillon entdeckte und auf ihn zulief. Feng war überaus erleichtert, dass Beiyuan Dong nicht zu den Verschwörern gehörte. Sonst wäre es wirklich gefährlich geworden. Dongs Ansehen und seine Verankerung in der Armee waren selbst für chinesische Verhältnisse bemerkenswert. Mit seinen dreiundsiebzig Jahren war er eine lebende Legende. Seinen Ruf hatte er sich als Hardliner und erfolgreicher Stratege in den 2020er–Jahren erworben, als China seine geostrategische Lage im Pazifik ausbaute. Sein erfolgreicher Acht-Tage-Feldzug gegen Nordkorea war in die chinesischen Geschichtsbücher eingegangen.
Feng legte den Apfelrest auf einen Teller und wischte sich die Hand mit einer Serviette ab, dann ging er dem General einige Schritte entgegen.
„Mein lieber General Beiyuan Dong, ich freue mich, Sie zu sehen.“
„Herr Präsident, ich freue mich, Sie wohlbehalten anzutreffen und versichere Ihnen, dass die Teile der Armee, die hinter mir stehen, auch hinter Ihnen stehen.“ Womit er andeutete, dass er wusste, was geschehen war, und dass er loyal war.
„Kommen Sie, General, setzen Sie sich, möchten Sie etwas trinken oder ein wenig Obst? Bedienen Sie sich. Lassen wir uns von dem lästigen Vorfall nicht diesen schönen Tag verderben. Diskutieren wir besser über andere Themen.“
Der General nickte lediglich und überließ Feng das Wort.
„Konfuzius sagt: Die Erfahrung ist wie eine Laterne im Rücken; sie beleuchtet stets nur das Stück Weg, das wir bereits hinter uns haben. Vielleicht fangen wir mit dem Blick zurück an. Wie sehen Sie die geopolitische Lage, Herr General?“
Der General ahnte nun, worauf Feng hinauswollte. Wenn der Präsident die geopolitische Lage ansprach, bestand die Chance, dass seine Berichte und Bemühungen der letzten Jahre gefruchtet hatten. Dong war ein Verfechter der Aufrüstung Chinas und deren Verbündeten sowie der Umstrukturierung der Armee zu einer flexibleren, schlagkräftigeren Organisation, die jederzeit, an jedem Ort der Welt die Interessen Chinas durchsetzen und verteidigen konnte.
„Ende des 20. Jahrhunderts öffnete Chinas Wirtschaft sich, danach entwickelte China sich schnell zur führenden Wirtschaftsmacht. Die gesellschaftliche Entwicklung hinkte hinterher, im internationalen Vergleich hatten wir schnell alternde Bevölkerungsstrukturen. Darunter leiden wir heute noch. Das Durchschnittsalter unserer Generalität liegt bei vierundsechzig Jahren, hier müssen wir mit Reformen ansetzen und innerhalb der nächsten fünf Jahre eine Verjüngung erreichen.
Europa verlor parallel zu unserem Aufstieg erst
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