Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
Potenzial. Er hat einfach unseren eigenen Code modifiziert. Nach dem ersten Chat-Kontakt ein paar Wochen später dachten wir, es handelt sich um eine junge Frau aus Korea, er hat uns getäuscht.
Im Sommer 2013 meldete er sich dann plötzlich und nahm unser Angebot, nach England zu kommen und für uns zu arbeiten, überraschend an. Seine Wünsche erfüllten wir ihm natürlich. Neben dem Zugang zu den neuesten technologischen Entwicklungen wollte er Chinesisch lernen und sich mit Molekulargenetik auseinandersetzen. Die ersten beiden Punkte lagen in unserem Interesse, und die Molekulargenetik wurde sein Hobby. Er hat sich sogar mit dem späteren und inzwischen verstorbenen Nobelpreisträger Sir Ralph Ferguson angefreundet.“
„Er spricht Chinesisch? War er an einem Projekt gegen die Chinesen beteiligt?“, hakte der Premierminister nach.
„Sprechen eher weniger, aber er kann Mandarin gut verstehen, lesen und auch schreiben. Anfang 2014 gelang es uns, in das Netzwerk der Chinesischen Botschaft einzudringen. Feist war dabei federführend, und zu diesem Zeitpunkt ist …“, Brian stockte einen Moment, als ihm der Zusammenhang bewusst wurde, „… Dérúgo Feng Botschafter in London gewesen.“
„In der jetzigen Situation glaube ich kaum, dass das ein Zufall war. Also kennt er Feng wahrscheinlich aus dessen Zeit als Botschafter“, folgerte der Premier. „Was mich noch interessiert, ist: Woher kommt sein Interesse an der Molekulargenetik?“
„Feist hatte zu der Zeit erfahren, dass er an einer Erbkrankheit leidet. Er wollte sich deswegen mit dem menschlichen Genom auseinandersetzen und blieb einfach weiter am Ball. Im August 2013 traf ich ihn zum ersten Mal persönlich, ich holte ihn am Flughafen in Frankfurt ab.“
Das Motiv
Es war nicht zu übersehen, dass der Premierminister sich nicht mehr konzentrieren konnte, ihm fielen fast die Augen zu. Er las eine neue Notiz, die man ihm gerade zugeschoben hatte.
„Gut, vermutlich hat diese Cyberattacke 2014 auf die Chinesische Botschaft tatsächlich etwas mit dem damaligen Botschafter und dem heutigen chinesischen Staatspräsidenten zu tun. Das wäre naheliegend und ist unser erster Anhaltspunkt. Gab es bei dieser Aktion Probleme, Colonel Fletcher?“
„Nein, im Gegenteil, das war eine von vielen erfolgreichen Aktionen mit Tobias Feist. Die Chinesen hatten tatsächlich ihr System doppelt ausgelegt und immer wieder gezielt falsche Informationen platziert. Ohne Feist wären wir ziemlich sicher darauf reingefallen. So ging es den Amerikanern, Israelis und Russen ja dann schließlich.“
Der Premierminister schaute auf die Uhr. „Es ist zwar erst 19:30 Uhr, aber ich habe noch einiges zu tun. Ich schlage vor, dass wir morgen früh um 10 Uhr weitermachen. Versuchen Sie, so viel wie möglich aus Feist herauszuholen. Zwischen 2014 und 2037 muss etwas vorgefallen sein, das die Ursache dieses ganzen Schlamassels ist. Darauf werden wir uns in den nächsten Tagen konzentrieren. Vielleicht finden wir einen Anhaltspunkt, um aktiv zu werden. Haben Sie noch etwas?“
Mary und Brian schauten sich an und schüttelten den Kopf.
„Wir sehen uns also morgen früh um 10 Uhr, und falls Sie es schaffen, Feist vorher zur Vernunft zu bringen, melden Sie sich. Die Verbindung bleibt bestehen?“
„Ja, wir lassen sie laufen. Einen guten Abend noch, Herr Premierminister.“ Sie warteten, bis der Premierminister aus dem Bild verschwunden war, dann schaltete Brian das Mikrofon ab. „Sie müssen nicht alles mithören“, erklärte er. „Wenn sie etwas wollen, werden wir es schon merken. Was hältst du von ihm, Mary?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob er der richtige Mann für diese Situation ist. Er ist ein Mann der Öffentlichkeit, der großen Bühne. Seine Stärken liegen in der PR, im Umgang mit den Massen und mit den Medien. Ich bezweifle aber, dass er ein guter Krisenmanager ist, dafür ist er zu emotional. Da wärst du besser.“
„Ich? Wie kommst du darauf? Vielen Dank, nein, ich bin froh, dass ich jetzt hier und nicht im New Tower sitze.“
„Brian, du bist bereit, harte Entscheidungen zu treffen, und du hast schon Menschen zum Wohle unseres Landes in den Tod geschickt.“ Er schaute sie betroffen an. „Ich weiß, dass du immer noch damit haderst. Und genau das ist es, was wir jetzt brauchen. Härte, eine gewisse Skrupellosigkeit – und trotzdem Menschlichkeit. Das brauchen wir jetzt, um die Ordnung zu bewahren beziehungsweise sie wiederherzustellen, ohne dabei den
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