Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
und zur Räson bringen. Entsprechend haben wir uns verhalten.“
„Ja, gut, und worauf willst du jetzt hinaus?“
„Ich bin zufällig hier“, sagte Mary, „ich bin lediglich ein akzeptierter Gast und kein Bestandteil seines Planes. Du bist hier, weil er das so geplant hat. Ich bin mir sicher, wenn man dich nicht geschickt hätte, hätte er dich angefordert.“
„So weit waren wir schon, er hat damit gerechnet, dass ich hierhergeschickt werde. Aber wie kommst du darauf, dass er mich ansonsten angefordert hätte?“
„Du kennst die Antwort, Brian. Du bist sein Erbe! Du bist der einzige Mensch, dem er wirklich vertraut. Er gibt dir das Wissen der gesamten Menschheit in die Hand. Wir, pardon: du bist nicht hier, um der britischen Regierung oder sonst wem zu helfen. Du bist hier, um dein Erbe anzutreten.“
Mary ignorierte Brians erschrockenes Gesicht, sie stand auf, faltete die Serviette zusammen und legte sie auf den Tisch. „Und jetzt setzen wir uns diese Dinger auf den Kopf und machen uns ein paar gemütliche Stunden in der Vergangenheit. Was meinst du, ob uns James eine große Portion Popcorn für unsere Kinonacht bringt?“
Sobald sie die HMDs aufhatten, begrüßte Tobias sie. Der virtuelle Raum, in dem sie ihn trafen, war konturlos, es war gerade hell genug, dass sie sich sahen. Sie saßen sich in drei Sesseln gegenüber.
Tobias sah sie ernst an. „Wir fangen im Februar 2015 an, auch wenn die Geschichte eigentlich schon 2013 begann.
Ihr werdet euch noch gut an diese Zeit erinnern, da die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen damals uns alle direkt betrafen. Die politischen Rahmenbedingungen, die Finanzkrise, die drohenden Staatspleiten, die Machtpolitik einzelner Staaten, all das mag wichtig gewesen sein, aber mir geht es nur um eine Sache: um die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Fortschritte in der Molekulargenetik und hier vor allem um die Veränderung des menschlichen Genoms.“
Er deutete nach oben, über ihnen pulsierte eine Zelle. Im Zellkern hob sich eine phosphoreszierende Struktur ab, die an ein Wollknäuel erinnerte. „Das ist eine befruchtete menschliche Eizelle kurz vor der Zellteilung. Die leuchtende Struktur ist die DNA, die sich auf sechsundvierzig Chromosomen verteilt.“ Das Bild änderte sich und zeigte die typische Struktur von dreiundzwanzig Chromosomenpaaren.
„Im November 2013 machte der US-amerikanische Molekulargenetiker Eduard Brighton in einem Labor des ORGANICA-Konzerns in der Nähe von London eine folgenschwere Entdeckung. Anderthalb Jahre später starb er. Ich vermute, dass es kein natürlicher Tod war. Brightons Entdeckung wurde dazu verwendet, am menschlichen Genom im großen Stile Manipulationen durchzuführen.
Das und alles, was folgte, wäre vermutlich nie ans Licht gekommen, wenn es nicht eine Reihe von Zufällen gegeben hätte.“ Tobias ballte die linke Hand zur Faust und hob den Daumen.
„Zufall Nummer eins: Die ORGANICA und Dérúgo Feng sind schuld am Tod meines Freundes Jakob Schell. Somit habe ich die ORGANICA und Feng immer im Auge behalten.
Zufall Nummer zwei: dass ich 2012 vom Rätselcode des britischen Geheimdienstes erfuhr und später deswegen einen Job beim MI6 bekam.
Zufall Nummer drei: dass ich wegen meiner Erbkrankheit begann, mich für die menschliche DNA zu interessieren. Die Codesequenzen der DNA sind faszinierende Strukturen mit komplexen Mustern. Und die Zusammenarbeit mit Professor Ralph Ferguson hat mich auf eine gewisse Weise zum Genomspezialisten gemacht – zumindest, was die Struktur betrifft. Aus diesem Grund konnte ich auch die Tragweite der Manipulation erkennen.
Zufall Nummer vier: der als Birmingham-Massaker bekannte Amoklauf im Juli 2033. Die DNA des Amokläufers brachte mich auf die Spur. Ihr werdet den Zusammenhang später sehen.
Zufall Nummer fünf: die 2020 weltweit eingeführte PID-Pflicht. Dadurch konnte ich alle lebenden Chimären identifizieren und den Großteil liquidieren.
Zufall Nummer sechs: die absolute Vernetzung aller Computersysteme. Sie hat es mir ermöglicht, alle Systeme zu infizieren und dann lahmzulegen. Vor zehn Jahren noch wäre ein totaler Blackout etwas schwieriger zu realisieren gewesen.
Noch eines zum Schluss: Ich musste es tun und es war richtig so. Der Mensch kennt keine Skrupel, auch nicht seiner eigenen Art gegenüber. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, die Menschheit zur Besinnung zu bringen, aber ich verschaffe ihr zumindest Zeit, um nachzudenken.
Es geht gleich
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