Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
EU-Staaten konferierte.
Seit einem Jahr, seit 2020, gehörte er zum inneren Kreis, zu den Top 100 des chinesischen Regierungsapparates.
China hatte eigens für Europa, dessen größter Geldgeber China inzwischen war, ein neues Ministerium eingerichtet. Feng war Europa-Minister. Sein Ministerium koordinierte die Zusammenarbeit mit Europa, so die offizielle Version. Fengs politischer Auftrag lautete, die Interessen Chinas in Europa zu vertreten und durchzusetzen. Gern verglich er seine Rolle mit der eines Gouverneurs oder Vizekönigs, natürlich nur im Kreis seiner Vertrauten.
Bei dem Treffen mit den europäischen Regierungschefs war er nett, diplomatisch und sympathisch. Er lobte dort, machte da ein Zugeständnis, bot hier eine kleine Hilfestellung an, vermittelte einen Kontakt, sprach Einladungen aus – und setzte stoisch seine und die Interessen Chinas durch.
Er war der Geldgeber, die Europäer waren die Schuldner, und China würde die Europäer nie wieder aus der Schuldenfalle herauslassen. Europa wurde zum Vasallenstaat und hatte Tribute zu zahlen. China ließ den europäischen Staaten offiziell ihre Souveränität, die Bürger sollten sich schließlich frei fühlen.
China besaß in Europa längst kommunale Energieversorger, Brücken, Straßen, Wälder, Agrarland, Fischgründe, stillgelegte Kohlebergwerke – alles, was einen Wert darstellte. Und das investierte Geld floss beständig in Form von Zinszahlungen wieder zurück nach China.
In den letzten Jahren hatte Dérúgo Feng sich immer mehr auf die Politik konzentriert, die anderen Angelegenheiten der Familie Feng, die sein Vater koordinierte, verfolgte er nur am Rande. Seit 2018 war er im Verwaltungsrat des ORGANICA-Konzerns und nahm an seinen Pflichtterminen teil, hatte aber keinen Einfluss auf die Entwicklung des Konzerns.
Allein das Projekt Chimäre war auf Wunsch seines Vaters unter Dérúgo Fengs Obhut verblieben. Feng hatte selten persönlichen Kontakt zu Professor Jeong, doch Jeong erfüllte auch so alle Erwartungen.
Professor Jeong fand brillante Wissenschaftler, die für eine gute Bezahlung auf den wissenschaftlichen Ruhm verzichteten und ihr Ethikverständnis nach Wunsch anpassten. Jeong betreute vermutlich die einzigen Labore auf der Welt, in denen es nicht nur unerwünscht, sondern den Forschern sogar verboten war zu publizieren.
Die Labore von Jeong gehörten inzwischen offiziell zur IFC, damit stellten sie sicher, dass sie immer direkten Kontakt zu den Chimären hatten. Dafür gab es seit 2015 eine spezielle Dienstleistung: kostenlose medizinische Betreuung aller IFC-Kinder bis zum achtzehnten Lebensjahr.
Die Serie eins aus dem Frühjahr 2015 mit zehn manipulierten Embryonen war die bisher erfolgreichste Serie. Alle zehn Embryonen wurden geboren. Eine Chimäre starb wenige Wochen nach der Geburt. Offiziell hieß es: plötzlicher Kindstod.
Professor Jeong und sein Team gingen von einem Zelldefekt aus. Bei der Autopsie fiel ihnen bei den Gehirn- und Nervenzellen eine Besonderheit auf: Deren Telomere waren gegenüber den Telomeren aller anderen Körperzellen wesentlich kürzer, sie waren auf eine Länge reduziert, die den Nervenzellen nur wenige Teilungszyklen zugestand.
Sofort wurden die anderen neun Säuglinge untersucht, bei vier fanden sie keine Veränderungen der Nervenzellen. Fünf Kinder hatten ebenfalls verkürzte Telomere.
Diese fünf verstarben in den Folgejahren, keines der Kinder wurde älter als fünf Jahre. Die verbliebenen vier hatten eine verzögerte sprachliche und intellektuelle Entwicklung. Aber sie lebten.
Bei der Entwicklung der Nervenzellen lief also etwas schief. Damit das nicht auffiel, wurden in den nächsten Jahren die genmanipulierten Embryonen auf Elternpaare in der ganzen Welt verteilt.
Bis zum 30. März 2022 wurden unter Professor Jeongs Aufsicht weltweit 1.015 genmanipulierte Embryonen erzeugt. Davon wurden 517 lebend geboren. Föten, die während der Schwangerschaft verstarben, wiesen schwere neuronale Schäden auf. 221 Säuglinge überlebten das erste Lebensjahr nicht, weitere 178 verstarben vor dem fünften Lebensjahr, alle wiesen geistige und leichte motorische Defizite auf. Ansonsten waren sie kerngesund.
Ende März 2022 lebten noch 118 Kinder. Bis auf dreiundzwanzig waren alle jünger als drei Jahre. Die ältesten vier stammten aus der ersten Serie und hatten gerade ihren sechsten Geburtstag gefeiert. Auch diese Kinder wiesen Defizite in ihrer geistigen Entwicklung auf, was sich vor allem in
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