Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
hatte und seine leiblichen Eltern im Koreakrieg verloren hatte, konnte man ihn nicht mit ihm nahestehenden Personen unter Druck setzen. Dass Jeong das Projekt Chimäre zu Lebzeiten verraten würde, befürchtete Feng hingegen nicht. Dafür war der Professor zu intelligent und hatte viel zu viel Angst.
Tobias analysierte Jeremy Longpaths Genom. Bisher hatte er sich nie die Telomere angeschaut, waren sie doch bezüglich der Erbinformation irrelevant. Er brauchte einige Stunden, um sich über Telomerstrukturen, ihre Funktion und Eigenschaften zu informieren.
Nach dem zweiten Gespräch mit einem Experten wusste er, dass Jeremys Telomere eine biologische Sensation waren. Theoretisch hätte Jeremy Longpath damit eine Lebenserwartung von über 250 Jahren gehabt.
Tobias schaute sich die Telomerstruktur genau an, aber die Muster, die er sah, waren eintönig. Nur ab und zu gab es einen Wechsel in der Anordnung, was ihn spontan an Knoten erinnerte. Sonst fand er nichts Auffälliges. Zuerst vermutete er, dass er es mit einer Spontanmutation zu tun hatte, vermutlich verursacht durch den gleichen Auslöser, der auch die Mutation im Bereich der Wachstumsfaktoren verursacht hatte. Er hatte eine Idee.
„Confidence, such bitte bei allen In-vitro-Befruchtungen aus den Jahren 2012 bis 2018 nach T-Werten größer als 120 Jahre. Falls du dort Treffer erzielst, weite die Recherche auf sämtliche In-vitro-Befruchtungen auf, die es jemals gab. Wie lange brauchst du dafür?“
„Weltweit handelt es sich für den Zeitraum 2012 bis 2018 um geschätzte zwei Millionen Individuen. Für die erste Recherche, beschränkt auf Großbritannien, benötige ich etwa vierundzwanzig Stunden, für die zweite vier Tage.“
Als To Zhang an diesem Abend in London ins Flugzeug stieg, hatte er immer noch das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Dieses Gefühl hatte sich kurz vor Mittag in der Chinesischen Botschaft eingestellt, bei der Verabschiedung vom stellvertretenden Botschafter, der ein alter Freund war.
Er war systematisch sein Gepäck durchgegangen, dann seinen Terminkalender und seine To-do-Liste. Es gab noch einen Punkt, der zu erledigen war, aber der war beauftragt: Das myCom des Professors musste sichergestellt und alle eventuell vorhandenen Datenkopien aufgespürt werden.
Darauf waren zwei IT-Spezialisten der Chinesischen Botschaft angesetzt, sie hatten sich schon Zugang zu Jeongs myCom verschafft. Nun überwachten sie die Datenverbindungen. Innerhalb acht Tagen sollten sie herausfinden, mit welchen Systemen der Professor regelmäßig Daten austauschte, dann würden sie handeln. Auch für den Professor war vorgesorgt. Trotzdem wurde To Zhang das Gefühl nicht los, etwas vergessen zu haben.
Nach vier Stunden Flug fiel er in einen unruhigen Schlaf. Als er aufwachte, fühlte er sich wie gerädert. Als hätte ich auf Steinen geschlafen, dachte er, und dann fiel ihm schlagartig ein, was er vergessen hatte: die vorgezogene Löschung der Daten der Kieselsteine aus der IMIAS-Datenbank.
In der IMIAS-Datenbank waren sämtliche Daten eines Menschen gespeichert, ebenso auf den PID-Chips. Wenn jemand starb, wurden die Daten auf dem PID durch den Aussteller des Totenscheins gelöscht. Bis auf Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Fingerabdrücke und DNA-Profil wurden dann auch alle Daten aus der IMIAS-Datenbank gelöscht, in der Regel frühestens sechs, aber spätestens zwölf Monate nach dem Todestag. Erben konnten gebührenpflichtig auch eine sofortige Löschung der Daten beantragen.
To Zhang war erleichtert, dass es ihm doch noch eingefallen war und dass das Vergessene so harmlos war. Er bat einen der IT-Spezialisten, die er auf den Professor angesetzt hatte, die Daten der Kieselsteine zu löschen. Bereits eine halbe Stunde später war der Auftrag ausgeführt.
Die nächsten Tage war Tobias damit beschäftigt, eine anspruchsvolle Sicherheitsüberprüfung des britischen Regierungsnetzwerkes durchzuführen. Er sollte in das System eindringen und hatte zu seinem Verdruss mehr Lücken entdeckt als erwartet.
Das lag nicht an der eingesetzten Technologie, sondern daran, wie sie eingesetzt wurde. Das Spektrum reichte von simplen Einstellungsfehlern bis zu komplexen Wechselspielen unterschiedlicher Systemkomponenten, die zu einem unerwarteten Verhalten des Gesamtsystems führten.
Da er mehr als genug zu tun hatte, dachte er nicht weiter an die Recherche, mit der er Confidence beauftragt hatte. Nach Ablauf der angekündigten vierundzwanzig Stunden
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