Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
Tobias und von Lisa. Der Betreff „Urlaubsandrag“ fiel ihm sofort ins Auge und er überlegte, ob der Schreibfehler Absicht war, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, oder einfach nur ein typischer Fehler eines Menschen, der vorwiegend elektronisch und in Kurzsprache kommunizierte. Er tippte auf Letzteres. Nachdem Jakob sich Tobias’ Bewährungsauflagen in Erinnerung gerufen hatte, genehmigte er den Urlaubsantrag.
Lisas Mail war Routine, ein kurzer Bericht, was gerade lief und was er aus ihrer Sicht wissen sollte. Im Betreff stand dementsprechend „ZDF & Klatsch“. Also Zahlen, Daten, Fakten und Klatsch.
Er antwortete gleich:
„Hallo Lisa, danke für die Informationen, bin jetzt auf dem Weg nach Hause und anschließend im Urlaub. Tobias hat per Mail einen Urlaubsantrag für Oktober gestellt. Ich habe ihn genehmigt. Stellst du bitte sicher, dass er den Papierkram ordentlich macht? Danke! Anbei ein paar Infos aus dem Seminar. Gruß, Jakob“
In diesem Moment wurde die Abteiltür aufgezogen: „Die Zeitung von heute?“, fragte ihn der Bahnmitarbeiter. Er nickte nur, und die Tageszeitung landete auf dem Sitz gegenüber. Die Tür wurde wieder geschlossen. Er schrieb weiter:
„Der weltweite Aufbau zentraler Genom-Datenbanken geht enorm schnell voran. Gemäß Studie des FBI wird bis 2025 etwa von fünfundsiebzig Prozent der Weltbevölkerung nicht nur das DNA-Profil, sondern auch das Genom in einer Datenbank dokumentiert sein. Bereits 2030 erwartet man, die hundert Prozent zu erreichen.
Hinweis: Die Rede ist immer vom DNA-Profil, tatsächlich werden bereits heute zunehmend ganze DNA-Sequenzen und wenn möglich das Genom ermittelt und gespeichert!
Gesetze, die das Erfassen der genetischen Informationen sofort nach der Geburt verlangen, liegen bei etlichen Regierungen in der Schublade. Sie sollen zukünftig die Grundlage für die Ausstellung einer Geburtsurkunde sein. Und es ist geplant, Verstorbene, die zu Lebzeiten keine DNA-Probe abgegeben haben, post mortem zu erfassen.
Neben den Erkennungsdiensten haben die Krankenversicherungen ein Interesse an den genetischen Daten. Sie werden darauf bestehen, dass neben Informationen wie Blutgruppe und Rhesusfaktor auch DNA und Genom bekannt sind – um sich den Versicherungsschutz zu erhalten.
In der politischen Diskussion stehen die Bedenken zum Datenschutz im Vordergrund. Gesetze in den USA und in Europa legen eine zentrale Datenbank unter der Kontrolle der Regierung fest. Der Zugriff auf die Daten wird restriktiv gehandhabt. Patienten können ihre behandelnden Ärzte bei Bedarf autorisieren, ihre Daten zu beziehen. In der Praxis allerdings wird ein Arzt wohl einfach eine spezifische DNA-Analyse direkt beauftragen.
Das wird zur Folge haben, dass DNA-Informationen nicht nur in der zentralen Datenbank, sondern auch anderswo abgespeichert sind – auf dem Computer in der Arztpraxis oder auf dem Chip der Krankenversicherungskarte.
Staatliche Stellen sollen lediglich im Katastrophenfall Zugriff haben, um Opfer identifizieren zu können, sowie im Rahmen der Terror- und Verbrechensbekämpfung.
Mit anderen Worten: In wenigen Jahren wird man von jedem Polizeicomputer die DNA-Profil-Datenbank abfragen können und bald darauf auch das gesamte Genom.“
Für seine Verhältnisse war die Mail recht lang. Er überflog sie nochmals kurz, konnte dann tatsächlich im Zug eine Online-Verbindung aufbauen und die Mail versenden.
Sein Blick fiel auf die Zeitung, die der Bahnmensch vorhin gebracht hatte. Er las die Schlagzeile: „Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaftsbank (DGB) tritt zurück.“
Der Artikel zog ihn magisch an. Er stellte das Notebook zur Seite, versicherte sich, dass die Mail gesendet war, und griff nach der Zeitung. Ein früherer Offizierskollege arbeitete im Werksschutz der DGB und war für die Sicherheit des Hauptgebäudes und des Vorstandes verantwortlich. Er stand im lockeren Mailverkehr mit ihm und wusste daher, dass der Vorstandsvorsitzende der Bank, Beatus von Bösental, in der Vergangenheit schon öfter persönlich bedroht worden war. Vor einigen Wochen hatte er eine Briefbombe erhalten, für die italienische Anarchisten die Verantwortung übernahmen.
Der Artikel war kurz: „Die DGB teilte gestern am späten Nachmittag überraschend mit, dass ihr Vorstandsvorsitzender Beatus von Bösental seine Position als Vorstandsvorsitzender aus privaten Gründen zum 15. Februar 2013 abgibt. Der Aufsichtsrat der DGB hat bereits den bisherigen
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