Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
eingerichtet. Vor einem Jahr konnten wir für das Londoner Labor mit dem Amerikaner Eduard Brighton einen der führenden Molekulargenetiker im Bereich der Stammzellenforschung gewinnen. Dérúgo, was beim Rhesusaffen möglich ist, sollte beim Menschen auch möglich sein. Und warum nicht menschliche und tierische Gene oder Zellen kombinieren? Stell dir vor, welche Möglichkeiten es gibt!“
Dérúgo lief ein Schauer über den Rücken, jetzt wusste er, was die beiden Alten wollten. „Ich nehme an, die ersten, nennen wir sie mal Prototypen, sollen Briten beziehungsweise Europäer sein?“, fragte er.
Wei Feng klopfte sich auf die Schenkel und lachte. „Hab ich es dir nicht gesagt, Hu? Er erfasst sofort die Brisanz. Wenn es schiefgeht, ist es ein Problem der Briten, wenn es gutgeht, nutzen wir das Know-how noch früh genug. Außerdem haben wir in England alles unter Kontrolle und unsere neugierigen chinesischen Freunde hier werden nicht mit Dingen belastet, die sie nicht verstehen.“ Wei Feng lächelte schelmisch, als sei ihm gerade ein lustiger Streich gelungen, er griff nach seinem Glas: „Also, auf das Projekt Chimäre!“
Dérúgo Feng war beeindruckt von Hu Han. Sein Schwiegervater und sein Vater hatten nicht nur sein Interesse geweckt, sie hatten ein Feuer entfacht. Die Vorstellung, Leben nicht einfach zu zeugen, sondern zu gestalten, weckte seine Gier, etwas besitzen zu können, was anderen nicht oder nicht einfach zugänglich war. Etwas, was ihn über alle anderen erheben würde. Er spürte, dass das Gestalten von Leben die äußerste Macht war, stärker als die Vernichtung von Leben.
Stundenlang diskutierten sie über die Möglichkeiten der Gentechnologie. Hu Han verfügte über eine vollständige Sammlung aller Forschungsarbeiten, die die künstliche Erzeugung von Lebewesen zum Inhalt hatten. Dérúgo Feng war überrascht zu hören, wie viele künstliche, mehr oder weniger lebensfähige Organismen weltweit in den Labors der Wissenschaftler existierten.
Sie waren sich einig, dass der Gentechnologie die Zukunft gehörte und sie darin investieren mussten. Das Leben erhalten, das Leben verlängern – und den Menschen dafür ihr Geld abnehmen.
Es dauerte nicht allzu lange, bis sie bei Hu Hans Lieblingsthema ankamen, der Unsterblichkeit. Hu Han spürte schnell, dass das Interesse seines zukünftigen Schwiegersohnes echt war, bald zogen sie sich in die Bibliothek zurück.
Die Diskussionen und Fantasterein dieses Tages und der folgenden Tage sollten dazu führen, dass Dérúgo Feng Jahre später eine neue Art Mensch erschuf.
Weichenstellungen
Es war heiß und schwül, der August des Jahres 2013 hatte es in sich. Auf dem Kölner Südfriedhof unter den ausgreifenden Kronen der alten Silberpappeln konnte man die Hitze aushalten. Tobias genoss die Ruhe und die Einsamkeit. Die Geräusche der Großstadt und die Menschenmassen brauchte er nicht.
Er war seit der Beerdigung nicht mehr an Jakobs Grab gewesen. Zu Lisas Bestattung war er gar nicht erst gegangen, jetzt plagte ihn das schlechte Gewissen. In der Blumenhandlung am Friedhofseingang Höninger Platz hatte er zwei kleine Blumengestecke gekauft.
Das erste hatte er vorhin auf Lisas Grab gelegt, jetzt kniete er ein paar Meter weiter vor Jakobs Grab. Dieses Grab war im Gegensatz zu Lisas gut gepflegt. Elisabeth wird oft hier sein, dachte er.
„Ich will mich verabschieden, Jakob“, murmelte er. Und ihm schossen die Tränen in die Augen.
„Ich hab dich lieb gehabt, Jakob.“ Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er so etwas sagte. Und er würde es erst viele Jahre später wieder sagen, zu einem kleinen Jungen, der ihn in sein Herz geschlossen hatte.
Jetzt flossen die Tränen, die sich Tag für Tag aufgestaut hatten, nach Jakobs Tod, nachdem er versagt und seinen Freund verloren hatte. „Ich hab versucht, das Schwein zu erwischen. Ich hab sogar rausgefunden, wie er seine Opfer gefunden hat. Aber dann ist er einfach so gestorben. Ganz entspannt im Flugzeug, in der ersten Klasse, Frankfurt–Hongkong, auf dem Weg in den Urlaub, Herzversagen.“
Er stand auf, nahm seine Brille ab und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Ich hab ein Angebot vom britischen Geheimdienst. Vor einem halben Jahr habe ich einen Code geknackt. Das hat ihnen gefallen, und da ich nicht weiß, was ich sonst machen soll …“
Ihm stockte der Atem. Mit diesen Gefühlen, Liebe und Trauer um einen, der ihm vertraut hatte und dem er vertraut hatte, konnte er nicht umgehen.
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