Hongkong 02 - Noble House Hongkong
hätte 1945 mit zweitausend geliehenen Dollars angefangen. Jetzt hat er seine Finger in Petrochemie, Schwerindustrie, Elektronik, Raketen – viele amerikanische Regierungsaufträge – er hat Polyurethan-Kunststoffprodukte, Düngemittel – ja sogar eine Gesellschaft, die Schi und Sportartikel herstellt und verkauft. Seine Firma heißt Par-Con Industries. Er hat einfach alles.«
»Ich dachte, auch Ihre Gesellschaft hätte schon alles.«
John Tschen lächelte höflich. »Nicht in Amerika«, antwortete er, »und es ist auch nicht meine Firma. Ich bin nur ein kleiner Aktionär von Struan’s, sozusagen ein Angestellter.«
»Aber Sie sind ein Direktor und der älteste Sohn der Noble-House-Tschens und somit der nächste Comprador.« Nach altem Brauch war der Comprador ein chinesischer oder eurasischer Geschäftsmann, der als exklusiver Vermittler zwischen dem europäischen Handelshaus und den Chinesen agierte. Alle Geschäfte gingen durch seine Hände, an denen von allem ein wenig hängenblieb.
Soviel Reichtum und soviel Macht, dachte Armstrong – und doch: Mit nur ein wenig Glück können wir dich purzeln lassen wie Humpty-Dumpty und Struan’s auch.
»Sie werden Comprador sein wie schon Ihr Vater und Großvater und Urgroßvater vor Ihnen. Ihr Urgroßvater war der erste, nicht wahr? Sir Gordon Tschen, Comprador des großen Dirk Struan, der Noble House gründete – und beinahe auch ganz Hongkong.«
»Nein. Dirks Comprador war ein Mann namens Tschen Sheng. Sir Gordon Tschen war Comprador von Dirks Sohn, Culum Struan.«
»Sie waren Halbbrüder, nicht wahr?«
»So geht die Legende.«
»Ach ja, Legenden – davon leben wir ja. Culum Struan, wieder eine Legende in Hongkong. Aber auch Sir Gordonist eine Legende – Sie sind ein Glückskind.«
Ein Glückskind? fragte sich John Tschen bitter. Ist es ein Glück, vom illegitimen Sohn eines schottischen Piraten abzustammen, eines Opiumschmugglers, eines hurerischen bösen Geistes und Mörders, wenn nur einige der Geschichten wahr sind – und eines kantonesischen Flittchens, das er sich in einem dreckigen Puff kaufte, das heute noch in einem schmutzigen Hintergäßchen in Macao in Betrieb ist? »Ich bin kein Glückskind«, sagte er und bemühte sich dabei, ruhig zu bleiben. Sein Haar war dunkel mit grauen Stellen, sein Gesicht das eines Angelsachsen, hübsch, wenn auch ein wenig schlaff, und die dunklen Augen hatten nur einen geringen asiatischen Einschlag. Er war zweiundvierzig und trug Tropenanzüge, stets tadellos geschnitten und Schuhe von Hermes.
»Da bin ich anderer Meinung«, widersprach Armstrong, und es war seine Meinung.
»Comprador zu sein von Struan’s, dem Noble House of Asia, das ist schon was … etwas Besonderes.«
»Ja, etwas Besonderes«, wiederholte John Tschen mit flacher Stimme. Seit er denken konnte, quälte ihn sein Erbe. Er konnte die Augen fühlen, die ihn beobachteten, ihn, den ältesten Sohn, mit den Rechten des Erstgeborenen – er fühlte die nicht zu stillende Habgier und den Neid. Wie ein Damoklesschwert hatte sein Erbe seit eh und je über ihm gehangen. Erst gestern hatte es wieder einen zermürbenden Krach mit seinem Vater gegeben, den ärgsten seit langem. »Ich will nichts mit Struan’s zu tun haben!« hatte er geschrien. »Ich sage es dir zum hundertsten Mal, ich will raus aus Hongkong, ich will zurück in die Staaten, ich will mein eigenes Leben leben!«
»Und ich sage dir zum tausendsten Mal: Du wirst auf mich hören. Ich habe dich nach Am…«
»Ich könnte doch unsere amerikanischen Interessen vertreten, Vater. Bitte. Es gibt dort mehr als genug zu tun!«
» Ayeeyah! Jetzt hör mir mal zu! Wir verdienen unser Geld hier, hier in Hongkong und in Asien! Ich habe dich in Amerika studieren lassen, um die Familie auf die Welt von heute vorzubereiten. Du bist jetzt vorbereitet, und darum ist es deine Pflicht gegenüber der Fam…«
»Du hast doch Richard, Vater, und Kevin – als Geschäftsmann ist Richard zehnmal so gut wie ich, und er kann es kaum mehr erwarten, aktiv zu werden. Und was ist mit Onkel James -?«
»Du wirst mir gehorchen! Du weißt doch genau, daß dieser Bartlett für uns lebenswichtig ist. Wir brauchen deine Kennt …«
»… Onkel James oder Onkel Thomas? Onkel James wäre der Beste für euch, der Beste für die Familie und der Best …«
»Du bist mein ältester Sohn. Du bist das nächste Familienoberhaupt und der nächste Comprador!«
»Bei Gott, das werde ich nicht!«
»Dann bekommst du
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