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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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of Warcraft abzureagieren.
    Selbst Stunden später hatte sich seine Wut kein bisschen gelegt. Deshalb beschloss er – so gegen vier Uhr nachmittags –, zur Zwiesler Waldhausalm hinüberzufahren und ein scharfes Wörtchen mit Irina zu reden. Von ihrer Kollegin erfuhr er, dass sie sich nach der Mittagsschicht in Richtung Falkenstein aufgemacht hatte. Severin rannte ihr hinterher. Als er im Höllbachgspreng bis kurz vor die Abzweigung zum Albrechtschachten gelangt war, blieb er stehen und überlegte, welchen Weg er nehmen sollte: den schmalen Pfad nach rechts oder den weiter am Bach entlang über die Felsen zum Bergkamm.
    Severin schaute sich um. Als sein Blick dem Bachlauf bergwärts folgte, sah er Irina beim Aufstieg.
    »Severin Ruckerbauer«, betonte Hofer, »schwor im Verhör Stein und Bein, dass er nicht in Irinas Nähe gelangte.«
    Irina Svetla befand sich gut fünfzig Meter oberhalb von Severin auf der anderen Seite des Höllbachs, als sie plötzlich stehen blieb. Er konnte beobachten, wie sie zurückzuckte und einen Moment lang erstarrte.
    Wieso hat sie sich vor Severin derart erschreckt?
    Plötzlich drehte sich Irina um und begann, am unwegsamen, rechten Ufer des Gewässers talwärts zu hasten.
    Severin rief nach ihr, sehen konnte er sie nun nicht mehr. Hin und wieder vernahm er das Knacken eines Astes über das Rauschen des Höllbachs hinweg.
    Er rief noch ein paarmal, seltsamerweise tönte ein Echo zurück. Dann war es still. Severin wartete noch ein Weilchen, aber Irina tauchte nicht mehr auf.
     
    Hofer trank seine vierte Tasse Kaffee aus, lehnte eine fünfte dankend ab, seufzte und sagte: »Meine Kollegen und ich glauben, dass Severin die Wahrheit sagt. Der Junge ist im Grunde kein schlechter Kerl, nicht gerade ein Moralist, aber auch nicht kriminell. Severin beteuert übrigens, er hätte weder Irina noch ein anderes Mädchen dazu überredet, geschweige denn gezwungen, bei ›Azrael‹ mitzumachen. Ganz im Gegenteil, die ›Honigbienen‹ hätten sich eine Menge von dem Konzept versprochen, und die Vermittlungsgebühren bereitwillig an ihn bezahlt. Severins Provision floss in einen Bausparvertrag …«
    Hofer merkte, dass ihm Fanni nicht mehr richtig zuhörte, und brach ab.
    Ich habe mich geirrt, dachte Fanni, Irina ist nicht am linken Ufer des Höllbach, an dem der Pfad entlang führt, auf den quer liegenden Baum geklettert, sondern am rechten. Sie steckte im Dickicht fest und sah keinen anderen Ausweg als diesen glitschigen Stamm als Brücke zu benutzen. Sie hat es fast geschafft, erst kurz vor dem Ziel rutschte sie ab. Und ich dachte … alle dachten das – weil ja quasi eine Schneise ins Wasser führte. Aber die hatten der Doc und der Ranger geschaffen.
    »Das Gericht wird entscheiden müssen«, sprach Hofer nun weiter, »inwieweit sich Severin strafbar gemacht hat. Dank Ihnen, Frau Rot, kann ich die Ermittlungen jetzt guten Gewissens beenden.« Er reichte Fanni die Hand.
    Sie blickte ihm sinnend nach, als er davonfuhr.
    Wieso ist Irina eigentlich nicht weiter bergwärts gelaufen, wenn sie vor Severin fliehen wollte?, fragte sie sich. Sie ist ja, wenn auch am anderen Ufer, mehr oder weniger auf ihn zugerannt.
    Fanni versuchte sich die Szene vorzustellen, und dabei fiel ihr ein, dass Hofer gesagt hatte, Irina wäre erstarrt, dann hätte sie sich umgedreht und sei sofort talwärts gerannt.
    Wenn sie sich da erst umgedreht hat, dachte Fanni, dann hatte sie Severin ja noch gar nicht gesehen.
    Was ist das denn für eine Wortklauberei? Sie hat vorher halt nur kurz zurückgeschaut, hat bloß den Kopf eine wenig nach hinten geneigt dabei!
    Und dieses Echo? Seit wann hört man am Höllbach ein Echo wie sonst nur am Königssee?
     
    »Teufel auch«, rief Leni, als ihr Fanni von Severins Geständnis erzählte, »nicht nur Doc Haller, sondern auch Severin Ruckerbauer hat sich als Wolpertinger entpuppt.«
    »Ach Leni«, antwortete Fanni, »Wolpertinger sind wir doch alle, wir montieren uns Flügel an, wo bei genauem Hinsehen nur räudiges Fell zum Vorschein käme. Die Frage ist: Wie weit darf man es treiben?«
    »Richtig«, sagte Leni zwinkernd, »wo liegt die Grenze? Geht es zu weit, den eigenen Ehemann zu belügen?«
    »Vermutlich«, meinte Fanni, »aber lügt, wer schweigt?«
    Bevor Leni antworten konnte, klingelte das Telefon. Sprudel erkundigte sich nach Fannis Befinden.
    Das Gespräch zog sich dann noch ungebührlich in die Länge, weil Fanni von Hofers Besuch berichtete, woraus sich eine ausgiebige

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