Honigmilch
»Jonas’ Darstellung passt zu dem, was Severins Dateien ans Licht gebracht hatten.« Sie stand auf und brachte die leeren Gläser in die Küche. Während sie spülte, erzählte sie Leni von Severins Callgirlring.
»Honigbienen«, feixte Leni, »da wird wohl schwer herauszufinden sein, von wem Irina schwanger war.«
»Und wer sie mit Syphilis infiziert hat«, ergänzte Fanni. Sie stellte die Gläser in den Schrank. »Wo die anderen Keime herkamen, wissen wir inzwischen.«
»Haller muss glatt verrückt sein, wenn er das getan hat«, sagte Leni nachdem sie von Hallers Machenschaften mit Krankheitserregern erfahren hatte.
»Er ist ein Wolpertinger«, antwortete Fanni.
Leni sah sie derart konsterniert an, dass sich Fanni genötigt sah, ihr zu erklären: »So ein Wolpertinger hüllt sich in das Fell eines Hasen wie Doc Haller in das Image eines Botanikers. Der Wolpertinger trägt das Geweih eines Rehbocks und die Flügel einer Ente wie Doc Haller seinen Doktortitel und seine Leutseligkeit. Er legt sich Schlappohren zu wie …«
»Doktor Theo Haller?«, unterbrach sie Leni. »Ich kenne den Namen. Als ich damals in unserem Labor in Nürnberg anfing, war mal von ihm die Rede. Haller wurde geschasst, weil an seinem Arbeitsplatz immer wieder – wie hieß es noch – Unregelmäßigkeiten vorkamen.«
»Er hat alles Mögliche mitgehen lassen«, sagte Fanni.
»Er plante wohl schon damals ein derartiges Versuchsprojekt«, mutmaßte Leni. Dann fragte sie, wie man Doc Haller als Wolpertinger entlarvt habe.
»Du kannst dir doch selber denken, wie so was läuft«, antwortete Fanni. »Hier ein Hinweis, dort eine Beobachtung.«
Leni grinste. »Miss Marple hat diesmal nicht die Hauptrolle gespielt?«
Fanni schwieg.
Eines Tages würde sie Leni von Doc Hallers Keller erzählen, von der Honigmilch, der Injektionsnadel. Von ihrem Handy, auf dem Sprudel angerufen, Hallers Stimme gehört und sofort die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Eines Tages, nicht heute und morgen auch nicht.
Leni wünschte ihrer Mutter eine gute Nacht und verschwand nach oben.
Fanni ging noch mal zurück ins Wohnzimmer und starrte aus der Terrassentür.
Ich habe ihr Unrecht getan, dachte sie. Wie konnte ich bloß glauben, Leni würde auf einen wie Jonas Böckl hereinfallen? Für Leni ist Jonas noch immer der kleine Nachbarsjunge, der sich ständig in die Bredouille bringt. Sie wollte nichts weiter, als ihm heraushelfen.
Honi soit, qui mal y pense!
18
Sonntag, der 1. Oktober, verging wie all jene Sonntage, an denen Hans Rot zu Hause und Vera samt Familie zu Besuch da war: strapaziös für Fanni.
Am Montag frühmorgens, als Hans Rot Erlenweiler in Richtung Kreiswehrersatzamt verlassen hatte, rief Fanni bei Sprudel an. Er war am späten Samstagabend in Levanto angekommen. Die Temperaturen seien angenehm mild, sagte er, und er hätte gestern im Meer gebadet. Ob Fanni nicht Lust auf Urlaub an der Mittelmeerküste hätte.
»Große Lust«, antwortete Fanni, »ich werde demnächst anreisen.« Und damit war das Thema erledigt. Fanni sprach einfach weiter: »Ich muss mich jetzt auf der Stelle in die Hausarbeit stürzen, Max und Minna haben ein halbes Bücherregal ausgeräumt und aus den Büchern eine Mauer um ihre Legostadt gebaut. Dabei haben sie Kekse gegessen, ein halbes Dutzend davon liegt zerkrümelt auf dem Teppich.«
»Willst du nicht wenigstens frühstücken, bevor du loslegst?«, fragte Sprudel.
»Damit warte ich, bis Leni herunterkommt«, antwortete Fanni. »Sie war gestern mit Jonas Böckl aus.«
Erst Sprudels überraschter Ausruf brachte Fanni auf den Gedanken, dass er ja noch nicht wissen konnte, warum sich die beiden in letzter Zeit so oft getroffen hatten. Hastig berichtete sie ihm von dem DNS-Abgleich, den Leni für Jonas gemacht hatte. »Hinsichtlich Eva II ist Jonas dank Leni aus dem Schneider«, sagte Fanni. »Und nach dem, was wir ermittelt haben, ist er auch nicht der Vater von Irina Svetlas Kind.«
Das Kabel des Staubsaugers ratterte soeben in sein Gehäuse zurück, als Leni herunterkam.
»Müsli?«, fragte Fanni.
Leni nickte. Sie begann einen Apfel klein zu schneiden, während Fanni Haferflocken, Quinoapops und Braunhirse mit Joghurt verrührte.
Beim Zerstückeln einer Banane und zwei Kiwis beschrieb Leni ihrer Mutter das Menü, das sie am Abend zuvor verspeist hatte. »Jonas hat sich nicht lumpen lassen«, grinste sie.
»Wird er Eva I heiraten?«, erkundigte sich Fanni.
Leni sammelte alle Obstschalen auf und warf
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