Honigsüßer Tod
einem
Geistesblitz gesucht. Nach einem Detail, das wieder einmal keinem außer ihm
aufgefallen war und das den Fall klären würde. Vergeblich. Als er endlich
Schlaf gefunden hatte, war ihm auch noch Lucidus im Traum erschienen. Die
Lösung des Falles hatte aber auch der nicht parat gehabt.
»Moin, Moin, Kolleginnen und Kollegen.« Der erste Satz ging ihm noch
professionell über die Lippen. Er fixierte das Bild Horst Köhlers an der Wand.
Wenigstens der lächelte. Ansonsten schien die Stimmung eher feindselig zu sein.
Oder bildete er sich das ein? Er blickte auf die vergrößerte Karte der Gemeinde
Großbiberbach an der Wand, hieß die Polizeichefin (»Wir freuen uns sehr, liebe
Frau Bergmann«) willkommen und begann stockend seinen Vortrag. Eigentlich hatte
er sogar Neuigkeiten: Nach Auswertung des Blutes in und vor der Imkerhütte war
klar, dass es von zwei verschiedenen Menschen stammte. Der größere Teil vom
Opfer Mellitus, die einzelnen Tropfen mit ziemlicher Sicherheit vom Täter. Bei
der Analyse dieser Blutstropfen hatte sich außerdem ergeben, dass es keine
Übereinstimmung mit der DNA eines Sektenmitgliedes
gab. Demnach stammte der Mörder nicht aus der Sekte. Das war doch schon mal
was! Allerdings hatte das Ganze am Morgen schon im »Kurier« gestanden, was
Thomsen in der Ansicht bestärkte, dass es unter den Kollegen einen Maulwurf
gab. Mindestens einen, wie er düster in die Runde warf.
»Entschuldigung, Kollege Thomsen«, meldete sich der für die
Öffentlichkeitsarbeit zuständige Beamte zu Wort: »Aber der Maulwurf bin ich – und die Presseauskunft war mit Frau Bergmann ebenso wie mit Ihnen
abgesprochen.«
»Wann?«, fragte Thomsen verblüfft.
»Gestern Abend – als wir beide an dem ausgebrannten Auto standen.«
Thomsen verzog das Gesicht. Wenn der Ö recht hatte, und eigentlich gehörte er nicht zu den besonders Missgünstigen,
musste das die Phase gewesen sein, in der er gerade seine ganz eigene
Leichenstarre gehabt hatte. Zwei, drei Minuten dauerte es meist, bis er nach
dem Anblick eines Toten wieder voll einsatzfähig war und die Übelkeit
niedergekämpft hatte.
»Gut, dass Sie es ansprechen«, meldete sich die Polizeichefin jetzt
energisch zu Wort. Sie war erst knapp 40 und auf
der beruflichen Überholspur. Taff, kurz geschnittene Haare, Studium in vier
Ländern, zahlreiche Fachveröffentlichungen. Wahrscheinlich würde sie in zwei,
drei Jahren Staatssekretärin sein – oder gleich Innenministerin. Das Parteibuch
hatte sie sicherheitshalber schon. Und außerdem ersichtlich keine Lust, mit der
Lösung des Falles viel Zeit zu vertrödeln.
»Kollege Thomsen«, sagte sie, während dieser sich am liebsten gleich
fünf Antidepressiva auf einmal in den Mund geworfen hätte. »Wir haben nun
vielleicht einen zweiten Mord im Umfeld dieser Sekte. Das öffentliche Interesse
wird immer größer. Zur baldmöglichen Klärung erscheint mir Teamwork unerlässlich. ICH bin Teamworker. SIE auch?«
Sie fixierte den Soko-Leiter, der sich angesichts der Vehemenz
dieses Blickes fast an Lucidus erinnert fühlte. Während dessen Augen aber eher
gütig gestrahlt hatten, war das bei Frau Bergmann nicht der Fall. Eher im
Gegenteil.
Er beantwortete die Frage mit einem »Ja« und bekam gleich geballten
Widerspruch sowie ein mehrstimmiges Grummeln der Kollegen zu hören.
»Herr Thomsen«, sagte die energische Frau Bergmann. »Ihre Aufgabe
als Soko-Leiter ist die Koordination. Sie müssen nicht alles selber machen – im
Gegenteil. Die Kollegen hier haben ein hohes Ausbildungsniveau, und die Soko
ist mit 21 Beamten gut besetzt. Wenn es der Fall
erfordert – und diesen Eindruck habe ich –, werde ich sogar dafür sorgen, dass
noch aufgestockt wird. Das alles ergibt aber nur Sinn, wenn die verschiedenen
Teams aufeinander abgestimmt sind, wenn Informationen weitergegeben werden und
wirklich alle an einem Strang ziehen.«
Beifälliges Gemurmel. Thomsen blickte auf den Boden. Die Staubflusen
waren nach wie vor da. Eventuell hatten sie sich sogar vermehrt. Und die Mäuse?
Im Moment wäre es ihm sogar recht gewesen, eine Ratte hätte sich gezeigt und
wäre auf den Tisch vor Frau Bergmann gesprungen.
»Ich habe den Eindruck, dass Sie sich schwertun, Verantwortung
abzugeben, zu delegieren«, sagte Frau Bergmann weiter mit scharfer Stimme.
»Wir kommen gut voran«, meinte Thomsen etwas trotzig, ohne auf die
Vorwürfe einzugehen. Wo war er denn hier? Auf der Anklagebank? Vom
Administrativen mochte Frau Bergmann Ahnung
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