Honigsüßer Tod
ihn der Rauch in die richtige
Richtung. Von hier aus konnten es nicht mehr als fünf Kilometer zum Sonnenhof
sein.
Ein Unfallkontrahent war nicht zu sehen, nicht einmal ein Baum,
gegen den der Wagen hätte geprallt sein können, wie Riesle zunächst vermutet
hatte. Kurzschluss? Brandstiftung gar?
Der Journalist kannte die Gesichter, die kurz nach seinen ersten
Fotos vom Unglücksort eintrafen. Den Maler und den dicken Wirt aus der »Linde«
identifizierte er trotz ihrer großen Helme. In kleinen Orten lief man sich eben
bei jeder Gelegenheit wieder über den Weg. Die Herrschaften gehörten also
offenbar auch der Freiwilligen Feuerwehr Großbiberbach an. Die »großen
Geschwister« – nämlich die Wehren aus Triberg und Sankt Georgen – waren
dröhnend bald ebenfalls zur Stelle.
Riesle drückte weitere auf den Auslöser, bemühte sich, löschende
Einsatzkräfte, Feuerwehrautos und den brennenden Wagen alle zusammen auf ein
Foto zu bekommen. Dabei musste er sich beeilen, denn den Feuerwehrleuten gelang
es relativ schnell, den Brand zu löschen.
Nun hielt Riesle auch auf den verkohlten Innenraum des Wagens. Er
war dabei so mit seiner Kamera beschäftigt, dass er zunächst gar nicht
bemerkte, was er da eigentlich fotografierte. Ein ausgebranntes Auto – nicht
die Top-Meldung, aber dank des spektakulären Bildes war ein Platz in der
morgigen Ausgabe sicher.
Während er weitere Nahaufnahmen produzierte, arbeitete es jetzt in
seinem Hirn. Wo waren eigentlich die Insassen des Wagens? Bis zur Ankunft der
Feuerwehr war er doch der einzige Mensch vor Ort gewesen. Er schaute noch
genauer hin, legte den Automatismus des Fotografen ab, dachte nach. Ein, zwei
Sekunden benötigte er noch, dann überkam ihn ein heftiger Schauer: Die Person
hinterm Steuer hatte es offenbar nicht mehr rechtzeitig geschafft, den
brennenden Wagen zu verlassen. Das war eine verkohlte Leiche, die er da in
vielfacher Ausfertigung fotografiert hatte!
Von den Überresten des verbrannten Körpers stieg beißender Qualm in
den tiefblauen Abendhimmel auf.
Als die Soko-Mannschaft mit mehreren Fahrzeugen und
Blaulicht vorfuhr, rückte der Großteil der Feuerwehrleute bereits wieder ab.
Hauptkommissar Claas Thomsen erkannte sofort das Unheil – auch wenn kaum noch
auszumachen war, dass es sich um einen menschlichen Körper handelte, der da
hinter dem Lenkrad kauerte. Der Anblick bereitete ihm ein solches Unbehagen,
dass auf seiner ganzen Haut sofort ein heftiges Kribbeln einsetzte.
Wasserleichen, die aufgedunsen waren, fürchtete Thomsen am meisten.
Und die kannte er aus seiner Kieler Zeit recht gut– der Nord- und Ostsee sei
Dank … Auf Platz zwei seiner persönlichen Horror-Rangliste folgten jedoch
Brandleichen. Schon jetzt wusste er, dass er wegen dieser hier in der nächsten
Nacht kein Auge würde zumachen können. Statt im Bett zu liegen, würde er wieder
unter der Dusche stehen.
Während Thomsen vor lauter Ekel gar nicht auffiel, dass Riesle um
das Unfallauto herumsprang, stellte sich Winterhalter hinter den Journalisten.
Er konnte sein Entsetzen hinter dem trockenen Humor verbergen, den er sich im
Laufe der Jahre auch bei schrecklichsten Szenen angeeignet hatte: »Respekt,
Herr Riesle. Geht doch! Sie scheinen sich meine Worte zu Herzen genommen zu
haben. Der Feuerwehrkommandant hat mir gesagt, dass Sie diesmal der Erste
waren.«
Riesle blickte sich um und schaute in die spöttisch blitzenden Augen
des Kommissars.
Er war schwerer einzuschätzen als Thomsen. War das Lob ernst
gemeint?
»Danke«, sagte er nur und widmete sich weiter seinem Handy, mit dem
er versuchte, eine Verbindung herzustellen. Der Empfang war sehr schwach, aber
immerhin vorhanden. Es würde ein langer Abend im Dienste des Journalismus
werden.
20. Schlechte Nachrichten
So musste ein Tag beginnen: Müsli, Brötchen, Milchkaffee
und eine Frau, die dies alles strahlend kredenzt. Hubertus Hummel fühlte sich
in der Sankt Georgener Zweizimmerwohnung schon wie zu Hause.
»Hier ist es wunderschön«, sagte er dankbar. Der Tag war achteinhalb
Stunden alt, und zum ersten Mal seit Beginn der Ferien fühlte sich Hubertus
wirklich, als habe er Urlaub.
Und selbst wenn der durchgestrichene 22.
Dezember auf dem Kalender in der Ecke wieder einen Tag näher gerückt war: auch
Carolin war guter Dinge.
Am Vorabend hatte sich Hubertus nicht das Gehirn zermartern müssen,
wie weit denn der körperliche Stand ihrer Beziehung genau gediehen sein sollte.
Während des Austauschs von
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