Honigsüßer Tod
Ort waren, gefiel ihm überhaupt nicht.
»Herr Thomsen, gibt es eine Möglichkeit, heute meine Frau aus der
Sekte zu holen?«, wandte sich Hummel an ihn. »Ich fürchte, sie ist krank.
Vielleicht wäre das schon vor dieser Video-Pressekonferenz möglich?«
»Video?«, fragte Thomsen, während er die drei aufmerksam musterte.
Gleichzeitig fragte er sich, was Hummel und Riesle wohl mit diesem Bauern
verband.
Riesle frohlockte. Er hatte dank seiner technischen Kompetenz
offenbar einen satten Ermittlungsvorsprung. »Heute Nachmittag auf dieser Pressekonferenz
soll doch ein Video mit einer Offenbarung von Lucidus vorgeführt werden«, sagte
er dann. Auf die Gegenfrage des Hauptkommissars, woher er das wisse, fragte er
scheinheilig: »Ist Ihnen das noch nicht bekannt? Das erzählt man sich so in
Journalistenkreisen.«
Thomsen musterte ihn abermals genau, bevor er schließlich den Bauern
fragte, ob er sich kurz unter vier Augen mit ihm unterhalten könne. Zunächst
habe er aber eine Bitte. Er brauche einen Werkzeugkasten, da er an seinem
Dienstwagen ein klapperndes Geräusch vernommen habe.
Der Bauer schaute wenig begeistert, ging aber nach draußen in die
Werkstatt, um den Kasten zu holen.
Riesle staunte. Er hätte kaum jemandem weniger zugetraut, an sein
Auto Hand anzulegen, als Thomsen. Am liebsten hätte er zugeschaut.
Hummel hingegen kam wieder Pergel-Bülows Wagen in Erinnerung. Bis
zum heutigen Abend gab er sich beziehungsweise Klaus noch Zeit. Dann würde er
bei den Nachbarn klingeln, um seinen persönlichen Offenbarungseid zu leisten.
Er glaubte zu wissen, dass beim Car-Sharing neben den Kilometern auch die
genauen Stunden der Ausleihe gezählt wurden. Und dass bei verspäteter Rückgabe
saftige Bußen drohten.
Sowohl Hummel als auch Riesle wurden jäh aus ihren Gedanken
gerissen, als sie sahen, was Thomsen tat, nachdem der Bauer die Stube verlassen
hatte. Er fasste in den mitgebrachten Beutel und entnahm diesem eine Flasche
mit Honig sowie einen kleinen Plastiklöffel, träufelte damit eine massive Menge
Honig in Brändles Kaffeetasse und rührte kräftig um. Den Löffel packte er
anschließend in eine Papierserviette, die er ebenfalls mitgebracht hatte, und
deponierte Honig, Serviette und Löffel wieder in der Tasche.
»Was, bitte …«, setzte Riesle an.
Thomsens Augen verengten sich: »Ein Wort, und Sie beide bekommen ein
rechtliches Problem«, sagte er, nahm vorsichtig auf einem Holzstuhl Platz und
wartete auf Brändle, der den gewünschten Kasten anschleppte.
Der alte Bauer setzte sich wieder und trank einen Schluck Kaffee. Er
stutzte. Wieder nahm er einen kräftigen Schluck. »Was isch denn des?«, murmelte
er vor sich hin.
»Kann ich unter vier Augen mit Ihnen sprechen?«, wiederholte Thomsen
seine Bitte.
»Aber nu’ kurz – ich muss raus auf d’ Äcker«, meinte Brändle.
Der Kommissar bedeutete den beiden immer noch bass erstaunten Freunden
zu verschwinden.
»Ich habe hier übernachtet und würde mich gerne wenigstens noch
waschen und meine Sachen packen«, gab Hummel zurück.
»Gut«, entschied Thomsen. Er wartete, bis die beiden widerstrebend
aus der Wohnstube in Richtung oberen Stock gegangen waren und bedeutete dann
dem Bauern, die Holztür zu schließen. »Und versuchen Sie nicht zu horchen«,
mahnte er Riesle.
Der Hauptkommissar wartete einige Sekunden.
Dann fixierten seine Augen den Bauern: »Kennen Sie eine Erika
Brändle?«
Mürrisch und ungeduldig saß der Mann am Küchentisch. Doch seine
Augen flackerten, wie dem aufmerksamen Kommissar nicht entging.
»Erika Brändle«, wiederholte Thomsen.
Nun sah der Bauer den Beamten an: »Mei’ Tochter«, sagte er.
»Und?«, fragte Thomsen. Meist genügte es, die Gesprächspartner nur
verbal anzustoßen. Beim Bauern nicht: »Ich muss auf d’ Äcker«, wiederholte er
und winkte den Besucher in Richtung Tür.
Einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss hatte der Soko-Chef
freilich nicht, also folgte er der Aufforderung.
»Lege’ Sie de’ Werkzeugkasten vor d’ Tür, wenn Sie fertig sind«,
sagte Brändle, als sie beide im Hof standen, und ging bergauf Richtung der
Äcker. Thomsen starrte ihm nach und dann auf den Kasten. Dessen Griff war
schmutzig.
»Wieso mischt denn Thomsen dem Bauern was ins Getränk?«, fragte
Riesle immer noch fassungslos, als er vor dem großen Kruzifix im Gästezimmer
stand. Seine Versuche, an der Tür zu lauschen, waren zum Scheitern verurteilt
gewesen. »Der Kommissar dreht immer mehr durch«, meinte
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