Honigsüßer Tod
Journalist hätte glatt vermutet, sein Freund
könnte das in Lucidus’ Offenbarung angedeutete nächste Mordopfer sein. Kurz vor
der »Kalt-Wasser-Methode« öffnete Hummel die Augen und schaute zunächst auf das
überdimensionale Kruzifix. »Wo … bin ich?«
»Auf dem Hof von Bauer Brändle bei Großbiberbach. In seinem
kuscheligen Gästebett, wenn du’s genau wissen willst. Schönen Dank auch für die
Ablösung im Kadett, die wir für 3 Uhr vereinbart
hatten. Ich habe deine Abhör-Schicht sehr gerne übernommen. Du hast nichts
verpasst. Offenbar war auch die aufgewühlte Elke irgendwann mal müde.«
»Au weia«, machte Hummel, der sich allmählich der Geschehnisse des
vergangenen Abends bewusst wurde. »Hab wohl den Handywecker nicht gehört … Bin
völlig übermüdet.«
»Tja, ich musste die ganze Nacht in der Kälte ausharren.«
»Tut mir sehr leid«, sagte Hubertus, zog sich schnell an und
schlurfte ohne Morgentoilette hinter Riesle die Treppe hinunter in Richtung
Wohnstube.
Frisch gebackenes Bauernbrot, selbstgemachte Butter, Dosenwurst aus
eigener Produktion sowie die Eier der Hofhühner gab es. Nicht schlecht. Dazu
starken schwarzen Kaffee.
Für den Bauern war es bereits das zweite Frühstück. »Um Punkt halbe
sechse« sei seine Aufstehzeit. Nach dem Frühgebet sei er im Stall gewesen, dann
auf dem Acker. Ansonsten kam das Gespräch erst langsam in Gang, zumal Brändle
nicht gerade ein Alleinunterhalter war.
Als die Freunde allerdings die Offenbarung des Lucidus
rekapitulierten, schien er immerhin aufmerksam zuzuhören. Er beobachtete unter
seinen dunklen Augenbrauen abwechselnd Hummel und Riesle.
»Offenbarung?«, sagte er. »Allein des isch scho’ Blasphemie!« Dann
wandte er sich an Hubertus: »Sind Sie des mit de’ kranke Frau?«
Der nickte unsicher: »Ja, ich fürchte.«
»Sie müsse’ was gege’ diese Leut’ unternehme’. Wenn der Spuk jetzt
weitergeht und künftig dieser Brindur sei’ Unwese’ treibt, no’ gut Nacht.«
Hummel blickte sich in der Wohnstube um. Recht gemütlich, weil
rustikal. Eine Bäuerin schien es nicht zu geben. Vermutlich war Brändle ein
ähnlicher Einzelgänger wie Imker Kaltenbach. Die Einrichtung war beileibe nicht
neu, aber in ihrer Schlichtheit in sich stimmig. Religiöse Devotionalien gab es
ähnlich viele wie bei Hummels zu Hause, allerdings nur katholische. Auch in der
Wohnstube prangte ein großes, holzgeschnitztes Kruzifix, auf dem Fensterbrett
neben den Anti-Mobilfunk-Flugblättern hatte eine Marienstatue ihren Platz. Auf
Postkarten war die Gottesmutter ebenfalls mehrfach zu sehen. Im Gegensatz zu
den Bildern von Imker Kaltenbach zeigten diese hier den Bauern auch mit anderen
Menschen. Einmal in einer ganzen Gruppe, dann wieder mit einer einzelnen jungen
schwarzhaarigen Frau, einer älteren Grauhaarigen und einem bebrillten Pfarrer
unbestimmten Alters. »Fatima 1994«, stand über den
aufgeklebten Fotos. Neuere Schnappschüsse gab es nicht.
»Sie können sich auch nicht vorstellen, dass dieser Lucidus vor
seinem Tod noch in die Zukunft schauen konnte, oder?«, fragte Riesle den
Bauern.
»Und dass er sogar den Zeitpunkt des Weltuntergangs vorhersieht? 2031?«, ergänzte Hummel.
»Blasphemisches G’schwätz«, sagte der Bauer. »Gott weiß de’
Zeitpunkt. Aber sicher nit solche selbscht ernannte’ Heilige’.«
»Mag sein«, meinte Riesle. »Aber zwei andere Dinge hat er ziemlich
eindeutig vorausgesagt: Zunächst mal den Mord an sich selbst. Und dass dieser
Sonderfonds für die Schwarzwald-Imker beschlossen wurde, konnte er vor seinem
Tod auch nicht wissen. Dass Lucidus wirklich tot ist, steht übrigens
zweifelsfrei fest, falls Sie da anderer Meinung sein sollten.«
»Nei’, bin ich nit«, wehrte der Bauer ab. »Es isch halt irgendein
Trick.«
Er schien sich mit der Sache nicht mehr länger beschäftigen zu
wollen und schaltete das Radio an. SWR4 .
Die Nachrichten. Zunächst vermeldete der Sprecher irgendeinen Streit
in der Landesregierung. Das Frühstücks-Trio horchte erst auf, als anschließend
berichtetet wurde, dass es sich bei der verbrannten Leiche bei Großbiberbach im
Schwarzwald-Baar-Kreis nach Auswertung der DNA -Proben
definitiv um den Sektenführer »Lucidus« handle, wie die Polizei mitgeteilt
habe. Demnach ermittle die »Sonderkommission Honig weiter auf Hochtouren«.
Außerdem habe die Sekte »Kinder der Sonne« für den Nachmittag eine
Pressekonferenz angekündigt.
Hummel und Riesle wollten schon wieder ihren
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