Honky Tonk Pirates - Das vergessene Volk - Band 2
…
Nein!, dachte Will. Das darfst du nicht tun. Nicht hier. Vier winzige Meter von der Oberfläche entfernt! Er packte das Mädchen, er zog sie zu sich heran und dann verschloss er den Mund der Piratin mit einem äußerst verzweifelten Kuss. Ja,
Will küsste Hannah und die Musik wurde lauter. Sie zog die beiden die letzten Meter nach oben und dort sprangen sie wie zwei sich umarmende Delfine aus dem Wasser heraus. Sie schnappten nach Luft. Sie schrien vor Freude die letzte Angst aus sich heraus. Sie umarmten sich noch einmal und sahen sich an: voller Dankbarkeit, Achtung und für immer verbunden … und dann schlug Hannah Will ins Gesicht.
Das Klatschen der Ohrfeige beendete die Musik und in die folgende Stille zischte das Mädchen: »Tu das nie wieder! Denk nie wieder daran, dass du mich geküsst hast, und wage es nicht, es irgendjemandem zu erzählen!«
Sie blitzte ihn an. Ihre Augen und die vor Wut gekräuselte Nase drohten dem Jungen, der wieder einmal so rot geworden war wie eine reife Tomate.
Da hörten sie beide Jos helles Lachen. »Aber er muss es mir gar nicht erzählen. Ich hab es gesehen!«, lachte der Kleine und schaute von der Brücke des Rochens auf sie herab.
Hannah brummte und grummelte. Das hieß, dass sie kochte. Sie kochte vor Wut darüber, dass sie sich schämte: »Und wenn schon!«, fauchte sie. »Das hat nichts zu bedeuten.«
»Ja«, lachte Will, der sie gar nicht mehr hörte. »Aber er lebt. Ist das nicht wunderbar, Hannah? Sie haben ihn nicht geholt. Oh, mein Gott, Jo! Und wo ist Moses? Lebt Moses auch?«
»Der ist da«, rief der Kleine und deutete glücklich in Richtung Bug.
Will sah in die Richtung. »Hei-heiliger F-Flitz-fliegenschiss!«, stotterte er und stellte gleichzeitig fest, dass er stand. Ja, das Wasser war flach, so flach, dass er stehen konnte, und vor ihm, keine 75 Meter entfernt, betrat Moses Kahiki, der Chevalier du Soleil, den Strand einer traumhaften Insel.
DIE INSEL, DIE ES NICHT GEBEN DARF
Z um ersten Mal in seinem Leben war Will ausschließlich von glücklichen Menschen umgeben. Selbst die Triple Twins lachten jetzt endlich einmal. Sie legten die Waffen ab, befreiten ihr Haar aus den strengen Frisuren, tauschten ihre Kampfoveralls gegen Badeanzüge mit Rüschen und sprangen in das lauwarme, opalfarbene Wasser. Sie packten sich Jo und tollten mit ihm zwischen Stachelschwanzrochen und Baby-Haien herum.
Huh! Hannah und Will hatten nach ihrem Tanz mit den Schwärmern die Nase vom Baden erst einmal voll. Aber die Insel, die es laut aller Seekarten der Welt gar nicht geben durfte, schien über magische Kräfte zu verfügen. Die Erinnerung an die schrecklichen Kreaturen war verblasst und Hannah und Will waren fest davon überzeugt, dass sie diesen Monstern nie mehr begegnen würden.
Vor lauter Freude über die Entdeckung der Insel hatte Hannah sogar einen neuen Weltrekord aufgestellt: In sagenhaften 15 Minuten war sie nicht nur zum Rochen geschwommen. Sie war nicht nur die prächtig geschwungene Treppe zu den Kajüten hinaufgeeilt, um dort für ein paar hektisch-aufgeregte Minuten zu verschwinden … Sie war nicht nur - in diesen 15 Minuten
- zur Insel gerudert, sondern sie hatte sich davor noch für die passenden Schuhe, den richtigen Hut, die perfekte Frisur und das angemessene Kleid entschieden, was für Hannah sonst selbst in der dreifachen Zeit schier unmöglich gewesen wäre.
»Ja-mahn!«, raunte Moses Kahiki und legte den Arm um Wills Schulter, als sie Hannah erblickten: »Willkommen zu Hause. Das ist die Südsee!« Er pfiff durch die Zähne.
Doch Hannah, die durch den Sand an ihnen vorbeistapfte, grinste mit besserwisserisch gekräuselter Nase zurück. »Das ist aus Marrakesch.« Sie zog den mit arabischen Perlenornamenten bestickten Dreispitz in die Stirn und marschierte davon. Die Weste passte zum Hut, in dem das Korallenrot dominierte. Das bunte, aus Kaschmir und Seide gewebte Hemd wehte wie eine Handvoll Blütenblätter im Wind und fiel in lockeren Falten über die enge Hose aus sandweißem Leder. Die Stiefel passten zum Ton von Hannahs bernsteinfarbenen Augen und die Haare flossen wie flüssiger Honig über ihre Schultern hinab.
»Marrakesch.« Moses nickte beeindruckt.
Will grinste frech. »Tja, wenn Marrakesch schöner wär, dann wären wir dort.«
»Ja-mahn!«, lachte Kahiki. »Dann wären wir dort. Nicht hier in der Südsee.«
»Genau«, zischte Hannah, blieb abrupt stehen und drehte sich dann ganz langsam zu ihnen um. »Aber warum sind wir
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