Honky Tonk Pirates - Das vergessene Volk - Band 2
dann so laut ins Ohr, dass Will es ohne Mühe verstehen konnte: »Auch wenn er’s gar nicht so schlecht kann für seine gerade mal 14 Jahre.«
»Vielleicht«, sagte Jo und zuckte die Schultern. »Aber das ist auch schon alles, was dieser Kerl kann. Ich meine, sonst würd er doch nicht mehr behaupten, dass dieses böse und dunkle Berlin noch immer unser Zuhause ist.«
»Genau«, sagte Hannah vorwurfsvoll.
»Das war es noch nie«, fuhr Jo zornig fort. »Genauso wie ich nie Pirat sein wollte. Mein Zuhause ist hier!«, verkündete er entschieden und ernst. »Denn hier bin ich glücklich. Hier fällt mir nie wieder ein Regentropfen auf die Nase. Ich werd’s euch beweisen. Los, schaut nach oben. Guckt zu dem Loch in der Decke, durch das ihr die Sterne seht.«
Hannah und Will taten ihm den Gefallen, und als sie zum Himmel schauten, fielen drei Regentropfen in das Blumenzimmer hinein. Sie teilten sich auf und platschten - Will wollte
es nicht glauben - zuerst Hannah auf die Stirn und dann ihm auf die Nase, während der dritte Regentropfen Jo ganz offensichtlich verfehlte.
Hannah und Will wussten nichts von den drei Kindern, die im Baum über dem Dach ihrer Herberge lagen und die drei Regentropfen mit Hilfe ihrer kurzen Schilfrohre gezielt auf sie abgeschossen hatten. Sie sahen nicht, wie sie grinsten. Sie sahen nur das glückliche Grinsen von Jo.
»Und was das heißt, muss ich dir wohl nicht mehr erklären.« Er hielt Wills wütendem Blick mühelos stand. »Ich bin kein Pechvogel mehr. Mein Pech hat mich endlich verlassen. Es klebt jetzt an euch. Ihr seid jetzt die beiden Regentropfen-fallenauf-euch-Will-und-Hannah, und es wird euch nicht gut ergehen, wenn ihr nicht auf mich hört.«
»Einen Moment!«, hakte Will nach. »Nur damit ich das alles verstehe: Du gehörst jetzt zu denen? Denen, die dich entführt, die uns den Wasserfall hinuntergeworfen und die mir den Kiefer gebrochen haben? Du gehörst nicht mehr zu mir, Jo? Du gehörst zu den andern?« Will schaute Jo mit dem sommersprossigen Hundeblick an, den nur er beherrschte, und der kleine Jo kämpfte mit sich. Er zerbiss seine Unterlippe. Er ballte die Fäuste. Er wollte schon nicken und »Ja« sagen, doch dann schüttelte er entschieden den Kopf.
»Nein, nein, nein, ich bin doch gekommen, um euch zum Schatz zu bringen«, versicherte er. »Da wollt ihr doch hin? Das wollt ihr doch, oder?«, fragte er übernervös und wischte sich die Schweißtropfen aus dem Gesicht.
Hannah und Will tauschten zwei misstrauische Blicke, doch dann grinste der Junge. »Verfuchst!«, sprang Will auf. »Jetzt bist du wieder mein Jo. Ja, Hannah, so kenn ich den Kleinen.« Will
nahm seinen Freund in den Arm. »Er spielt immer Theater und denkt sich immer was aus.« Will ging lachend zum Ausgang. »Los, kommt schon, wir gehen, und bevor diese wilden Mistkerle und Bastarde auch nur ans Aufstehen denken …«
Will trat aus dem Blumenzimmer hinaus auf den Steg und dort verschlug es ihm staunend die Sprache: Er schaute hinab auf den nächtlichen Krater. Der lag friedlich im Sternenlicht und um ihn herum hingen noch fünf Dutzend andere Nester aus Blumen und Blättern. Sie hingen an Bäumen, die aus den Felswänden wuchsen, und deren Kronen bildeten ihr natürliches Dach. Genau wie die Böden und Wände der Körbe natürlich gewachsen waren. Wie riesige Knospen hingen sie, die größten von ihnen vielleicht sechs Meter breit, in der Luft und wurden von einem Netz aus Lianenstegen und -leitern verbunden.
»Wild?«, fragte Jo, der neben Will trat, und »Mistkerle?«, fragte er Hannah, die ihnen folgte. »Ich finde das atemberaubend. Ich finde das schön. Die Mistkerle leben für mich in New Nassau und die Bastarde,Will, findest du in Berlin.«
Will schluckte beeindruckt und Hannah wischte sich mit dem rüschengesäumten Hemdsärmel vom Ellenbogen bis zu den Fingerspitzen einmal kräftig über die Nase.
»Ja-mahn«, raunte sie. »Das ist echt friedlich. So friedlich, dass sie vor Friedlichkeit schlafen.« Sie sah keines der drei grinsenden Kinder über sich in den Ästen des Baums, die das Dach ihrer Hütte bildeten, und weil sie die nicht sah, grinste sie selbst.
»Ja-mahn, und wer sollte es wagen, solch eine verschlafene Friedlichkeit zu stören. Ich etwa,Will? Die Mistkerlin aus New Nassau oder du, der Bastard aus diesem Drecksloch Berlin?
Nein, wir lassen sie schlafen.Wir befreien sie nur von der Bürde, die sie bedroht.Wir retten sie, Jo. Ja, wir nehmen den Schatz und verschwinden
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