Honky Tonk Pirates - Das verheißene Land - Band 1
strich sich verlegen mit der Hand übers Gesicht. »Wo du recht hast, hast du recht. Aber ich musste euch ködern, und Mut machen musste ich euch auch. Immerhin standen wir schon unterm Galgen. Und in solch einer Situation darf man ruhig übertreiben, ein bisschen zumindest, findet ihr nicht?«
Er zwinkerte Jo aufmunternd zu.
»Sonst ist es hier doch einfach nur prächtig. Das müsst ihr zugeben«, sagte Moses Kahiki und zuckte im selben Moment erschrocken zusammen, als die daumendicke Kralle eines Echsenfisches haarscharf neben seinem Fuß den Bootsboden durchschlug.
»Ja, prächtig, sehr prächtig!«, zischte der aufgebrachte Jo und
starrte entsetzt auf das durch den neuen Riss ins Bootsinnere sprudelnde Wasser.
»Nein«, raunte Will, »der Franzose hat recht. Er hat nicht gelogen. Schaut euch das an.«
Er zeigte in die Höhe und als sie seinem Blick folgten, glitten sie unter dem Bug des Fliegenden Rochens hindurch.
Der Rumpf glänzte dunkel, wie brünierter Stahl, und wirkte so glatt wie die Haut eines Delfins. Man konnte die Planken unter ihr nur erahnen. Und genauso dunkel und glatt wuchs der Kopf eines riesigen Mantas aus der doppelten Spitze, umfing mit den Flügeln den Katamaran und verschmolz beide Decks zu einer riesigen Fläche.
»Habt ihr so was schon einmal gesehen?« Will konnte es einfach nicht fassen.Von Nahem sah dieser König unter den Schiffen noch majestätischer aus.
»Seht ihr die Zeichen?«, rief er und zeigte auf die Bordwand über dem Flügel. Aber auch die Masten und Rahen waren mit Tattoos übersät. Silberne Tattoos, die wie Schriftzeichen aussahen und die man, wenn man sie lange betrachtete, irgendwann hören konnte. Sie klangen wie Musik. Eine unbekannte Musik, ähnlich der Musik der silbernen Krebse, die aus den Miesmuscheln krochen und die Seerose formten.
»Woher kommt dieses Schiff?«, fragte Will verzaubert. »Wer hat es gebaut?«
»Das weiß kein Mensch«, antwortete der Chevalier ehrfurchtsvoll. »Es war plötzlich da. Es trieb verlassen im Wind und hatte nur eine Karte an Bord. Die Karte, die verriet, wo man den Kraken fand. Den Kraken mit dem goldenen Diskus.«
»Yeah!«, staunte Will. »Das ist das Schiff aller Schiffe. Dagegen ist Talleyrands Schoner ein versunkenes Wrack.«
»Versunken?«, fragte Jo und spürte plötzlich das Wasser. Er blickte zu Boden und erkannte entsetzt, dass die milchige Plörre - obwohl er stand und nicht saß - bereits an seinen Kniekehlen leckte.
»Will!«, rief er heiser und zeigte auf die Reling des Bootes, die nur noch einen Fingerbreit aus dem Wasser ragte.
»Will!«, krächzte Jo und dann sahen auch die anderen beiden die etwa drei Dutzend Monster, deren Rücken jetzt auf sie zuschossen und die Oberfläche der Lagune zerteilten. Sie sahen, wie sie ihre Mäuler aufrissen und dann zum Sprung ins Boot ansetzten.
»Raus hier!«, schrie Moses.
Will packte Jo. »Siehst du die Ankerkette? Dann halt dich da fest!« Er schleuderte seinen kleinen Freund hoch in die Luft, vergewisserte sich, dass der die Kette zu fassen bekam, und sprang dann selbst. Er sprang kraftvoll, ruhig und war überhaupt nicht in Panik. Das war wie in Berlin, wenn er die Katapultaufzüge benutzte. Doch dieses Mal sackte der Boden unter ihm weg. Das Ruderboot sank und nahm dem Sprung seine Kraft. Will reckte und streckte seine Arme und Finger, doch er kam nicht mehr ganz an die Ankerkette heran. Er blickte nach unten. Dort flogen die grausigen Alligatorenmuränen jetzt auf ihn zu. Sie würden als Erstes seine Füße erwischen: zuerst die Füße und dann die Waden.
Will schloss seine Augen. Das war’s!, dachte er und glaubte auch schon, das Gift ihrer Zähne in seinen Beinen zu spüren, da fiel Moses Kahiki vom Klüverbaum.
Er schwang an einem Seil zu ihm herab, wickelte es sich im Sturz um die Knie, ließ sich wie ein Trapezkünstler kopfüber fallen, packte Will an den Haaren und zog ihn im wirklich allerletzten
Moment - kurz bevor sich die Kiefer der ins Leere springenden Monster ineinander verkeilten - zu sich hinauf und schwang sich mit ihm auf einen Flügel des Mantas.
»Hoh!«, stöhnte Will und dann musste er lachen. Atemlos lachte er und mit rasendem Herzen: »Hoh! Das war knapp. Ich glaub, jetzt schulde ich dir was.«
Er schaute zu Jo und ballte die Faust. »Ja!«, rief er. »Ja, du hast es geschafft. Du lebst, Jo, du lebst!«
Will lachte vor Freude, doch Jo glaubte ihm nicht. Er hing kreidebleich an der Kette und starrte Will an.
»Wie? Bitte,
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