Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
immer ein verregnetes Frühjahr erwarten, einen kühlen Sommer, einen stürmischen Herbst und einen majestätisch-strengen Winter. Auf das Klima von Saganami Island war sie völlig unvorbereitet gewesen. Manticore stand der gemeinsamen Sonne sehr viel näher als Sphinx, und Saganami Island, das nur wenige Dutzend Kilometer von der Terrasse entfernt lag, auf der sie nun mit ihrer Mutter saß, lag nur knapp über dem Äquator des Hauptplaneten. Allison hatte sie damals gewarnt, doch Honor war erst siebzehn T-Jahre alt gewesen und endlich auf sich allein gestellt (zumindest hatte sie die im höchsten Maße reglementierte Akademie anfänglich so verstanden); sie hatte die geringere Schwerkraft Manticores und die wohlige Wärme viel zu sehr genossen, als dass sie über die Worte ihrer Mutter zweimal nachgedacht hätte. Und das endete, wie es enden musste: mit einem spektakulären Sonnenbrand, der in der gesamten Menschheitsgeschichte sein Gleiches suchte.
»Und warum, o geehrte Mutter, bringt Ihr dieses Thema auf? Gewiss wollt Ihr eine Eurer gefürchteten Moralpredigten darüber halten, welches erschröckliche Schicksal einer Tochter droht, die auf ihre geehrten Eltern – besonders den weiblichen Teil – hören sollte und es nicht tut …? Entrostest du deine Erziehungsmethoden schon für Faith und James?«
»Himmel, nein. Dafür ist es noch viel zu früh.« Allison lachte. »Du weißt doch, wie es ist, Honor. Wenn du irgendwo zu früh trainiert wirst, dann ist es wahrscheinlich, dass sich deine Fertigkeiten vorzeitig entwickeln. Ich denke, ich warte noch, bis sie wenigstens laufen können, bevor ich ihnen das Eltern-Judo beibringe. Bei dir hat das ja auch ganz gut funktioniert, nicht wahr?«
»Das denke ich zumindest gern.« Honor nahm sich wieder einen Keks und bot ihrer Mutter vom Teller an. Allisons Genen fehlte die Meyerdahl-Modifikation, die für Honors beschleunigten Stoffwechsel verantwortlich war. Manchmal wünschte sie sich sehr, es wäre anders – vor allem wenn sie ihrem Mann und ihrer Tochter zusah, wie sie alles Essbare in ihrer Umgebung in sich hineinstopften, ohne auch nur einen Gedanken an Gewicht und Kalorien zu verschwenden. Immerhin konnte Allison erheblich länger hungern … und daran erinnerte sie ihre beiden Lieblinge immer wieder gerne, wenn sie Allison in der Nacht weckten, weil sie lautstark im Kühlschrank oder in der Speisekammer wühlten.
»Natürlich denkst du das gern«, entgegnete sie leicht provokant. »Du bist schon ein wenig voreingenommen, was das betrifft, oder etwas nicht?«
»Das mag schon sein. Aber selbstverständlich bin ich es nicht.«
»Nein, auf keinen Fall!«
Sie lachten beide, doch dann rollte sich Allison auf die Seite. Sie hob die Sonnenbrille und blickte ihre Tochter mit ungewohntem Ernst an.
»Ich hatte tatsächlich einen Grund, die Sache zu erwähnen, Honor, aber sie betrifft Nimitz mehr als dich.«
»Wirklich?« Honor hob die Braue, und ihre Mutter nickte.
»In gewisser Hinsicht. Ich musste daran denken, wie elend Nimitz sich fühlte, während er den Sonnenbrand zusammen mit dir durchstand, und da kam mir eine Idee über die Natur der Verbindung zwischen euch.« Honor neigte den Kopf zur Seite, und Allison zuckte mit den Schultern.
»Bisher konnte ich deinen Vater nur anrufen und ihm sagen, dass ich wieder da bin, deshalb konnte ich mit ihm noch nicht über dich oder Nimitz reden. Andererseits brauche ich keine Fachberatung, um zu sehen, dass Nimitz noch immer fast genauso schlimm hinkt. Kann ich davon ausgehen, dass dein Vater und die Baumkatzenärzte beschlossen haben, vorsichtiger als üblich vorzugehen, weil Nimitz seine mentale Stimme verloren hat?«
»Da vermutest du richtig«, antwortete Honor leise und warf einen besorgten Blick auf die Katzen. Wie gut, dass sie nun schliefen, denn sie konnte ihren trauererfüllten Groll über Nimitz’ Behinderung nicht unterdrücken. Nein, das ist keine Behinderung: Es ist eine Verstümmelung, sonst nichts. Er ist schlimmer verstümmelt worden als ich mit meinem Arm. Sie knirschte mit den Zähnen und kämpfte gegen die mordlüsterne Wut in sich an. Nimitz regte sich schon unruhig im Schlaf, doch Honor bezähmte ihren Zorn, bevor sie ihn ganz aufgeweckt hatte, und er wand sich noch einmal und schlief weiter. Es gab niemanden mehr, gegen den Honor ihre Rachlust hätte richten können. Sowohl Cordelia Ransom als auch der SyS-Scherge, dessen Pulsergewehrkolben den Schaden angerichtet hatte, waren an Bord der Tepes
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