Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
Mistress Thorn buk, hatte sie niemals auch nur den leisesten Einwand erhoben. Honor vermutete ohnedies, dass Mistress Thorn besonders gern für sie kochte, denn Honors modifiziertes Erbgut, das an eine Hochschwerkraftwelt angepasst war, bescherte ihr einen schier unersättlichen Appetit. Um Honors Stoffwechsel in Gang zu halten, bedurfte es einer unglaublichen Menge an Kalorien, und Mistress Thorn war glücklich, eine Arbeitgeberin gefunden zu haben, die sie bis zu den Augenbrauen mit Leckereien voll stopfen konnte, ohne dass diese sich über ihr Gewicht und ihre Figur Gedanken machen musste – das waren für jede graysonitische Dame alten Schlags zwei Kenngrößen gewaltiger Wichtigkeit.
Alledem zum Trotz war Mistress Thorn jedoch entsetzt gewesen, als Alfred Harrington zum ersten Mal in die Küche von Harrington House spazierte. Die Küche war ihr Reich, und kein Mann hatte darin irgendetwas zu suchen oder gar anzufassen. Selbst diejenigen Männer, die von sich behaupteten, gern zu kochen, stellten sich dabei ihrer Erfahrung nach nur dilettantisch an. Und auch die besten von ihnen ließen Unordnung und Unsauberkeit zurück, die ein anderer – genauer gesagt: eine andere – zu beseitigen hatte.
Nur konnte sie nichts dagegen tun außer zu kündigen, also biss sie die Zähne zusammen und nahm es hin – dann aber entdeckte sie, dass Alfred Harrington als Koch durchaus genauso gut war wie sie. Mit Kuchen, Gebäck und Brot kam sie besser zurecht, er jedoch übertraf sie bei Fleisch und Suppen; bei Gemüse lieferten sie sich ein Rennen Kopf an Kopf. Binnen weniger Wochen war Alfred Harrington der einzige Bewohner von Harrington House einschließlich der Gutsherrin, dem nicht nur uneingeschränkten Zugang zur Küche gewährt wurde, sondern der Mistress Thorn mit dem Vornamen ansprechen durfte. Sie gestattete ihm sogar etwas Unerhörtes: Er durfte ihr beibringen, seine patentierte Spinatquiche zuzubereiten. Da Honor niemals verbrieftes Mitglied in der Gesellschaft der Köche, Bäcker, Küchenchefs und Weinsnobs sein würde, war es ihr nur recht, wenn er nach Herzenslust Menüs plante und mit Mistress Thorn die Unterschiede zwischen graysonitischer und manticoranischer Küche diskutierte. Als Honor noch Kind war, hatte ihre Mutter ihm beglückt die Gewalt über die Küche überlassen, und Honor interessierte sich nur für die Qualität des Endprodukts. Und diese Qualität hatte schon gestimmt, als ihr Vater und Mistress Thorn auf sich allein gestellt waren; seit die beiden zusammenarbeiteten, war sie noch besser geworden.
Sie biss in den Keks und blickte zu Nimitz und Samantha. Beide lagen sie leise schnarchend auf dem verzweigten Kletterbaum, der die niedrige Feldsteinmauer an der Seeseite der Terrasse überragte. James MacGuiness hatte sich persönlich darum gekümmert, dass er angebracht wurde, bevor Honor überhaupt in die Villa einzog, und beide Katzen waren davon begeistert. Honor schmeckte ihre schläfrige Zufriedenheit, die auf der Oberfläche ihrer Träume schwebte, als schnurrten sie in ihrem Hinterkopf.
»Erinnerst du dich noch an den schrecklichen Sonnenbrand, den du dir in deiner ersten Woche auf Saganami Island zugezogen hast?«, fragte ihre Mutter sie. Sie klang müde und genauso zufrieden wie die Baumkatzen.
Honor schnaubte. »Aber sicher – und Nimitz auch. Ich hoffe, du möchtest uns jetzt nicht nach so langer Zeit ein ›Ich hab’s dir gleich gesagt‹ reinwürgen, Mutter!«
»Ich nicht«, beteuerte Allison. »Ich war immer der Meinung, dass die verbrannte Hand der beste Lehrer ist, und es hinterlässt bestimmt einen bleibenden Eindruck, wenn man sich die gesamte Haut versengt. Selbst bei dir, Liebes.«
Sie drehte den Kopf und schenkte ihrer Tochter ein engelgleiches Lächeln. Honor lachte leise. Nach den Maßstäben der meisten bewohnten Planeten galt die Heimatwelt ihrer Mutter als trocken und staubig. Beowulf hatte gewaltige Kontinente und nur wenig Meere, die dafür jedoch ausgesprochen tief waren. Während der Welt die Berge und die extreme Achsneigung fehlten, die das Wetter auf Gryphon so … interessant machten, fehlten ihr auch die klimamäßigenden ausgedehnten Ozeane. Allison Harrington war daher von Geburt an ein ausgeprägtes ›Kontinentalklima‹ mit langen, heißen Sommern und bitterkalten Wintern gewöhnt. Honor hingegen war auf Sphinx aufgewachsen. Die langen Jahreszeiten ihrer kühlen Heimatwelt, in denen diese sich wenig veränderte, waren für Honor normal; sie würde
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