Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
dachte er. Sie warten auf ein Wort von mir als Chef der Achten Flotte, sie wollen erklärt haben, was das bedeutet – und wie es nun weitergeht. Aber mein Gott … was bedeutet es denn nun?
Seine anfängliche Erschrockenheit legte sich ein wenig, und White Havens Verstand begann wieder mit der gewohnten Geschwindigkeit zu arbeiten. Von allen anwesenden Offizieren kannte er ohne Zweifel die Stärken und Schwächen der Regierung Cromarty am besten, denn sein Bruder war Lordschatzkanzler. Nach alter Tradition war der Träger dieses Amtes nicht nur der zweite Mann oder die zweite Frau des Kabinetts, sondern übernahm zusätzlich die Aufgaben des Premierministers, wenn dem Amtsinhaber etwas zustieß.
Das galt jedoch nur unter normalen Umständen, und die Umstände waren alles andere als normal. Wenn Willies Schilderung der Balance im Oberhaus genauso akkurat gewesen war, wie die Analysen seines Bruders gewöhnlich waren, dann …
Hamish Alexander blickte in die Zukunft und sah in einen Abgrund; was er dort entdeckte, bestürzte ihn ins Mark.
»Euer Majestät, die Gräfin von New Kiew, Lady Descroix und der Baron von High Ridge sind nun da.«
Elisabeth III. nickte dem Diener zu, der die Oppositionsführer zu ihren Arbeitszimmer geführt hatte, als wäre es alltäglich, dass sie die Königin im Mount Royal Palace aufsuchten. Das Gegenteil war der Fall, und die braunen Augen, mit denen Elisabeth ihrer Ankunft entgegensah, wirkten härter als Stahl. Unter ihren Augen aber hatte die Königin dunkle Ringe, eingegraben von der Trauer um einen geliebten Onkel, einen ebenso geliebten Cousin und einen Premierminister, der ihr in vieler Hinsicht zum zweiten Vater geworden war. Doch die dunklen Ringe rührten nicht nur von der Trauer her, sondern auch von dem Wissen um das Chaos, in das Allen Summervales Tod die manticoranische Innenpolitik gestürzt hatte – und um den Grund, aus dem ihre ›Gäste‹ sie sprechen wollten.
Vergiss das nie , ermahnte sie sich. Vergiss nie, dass nur die Folgen des Handelns zählen, und was immer du tust, verlier bloß nicht die Beherrschung!
Innerlich biss sie die Zähne aufeinander und sammelte ihre Entschlossenheit, nach außen hin zwang sie sich zu einem Lächeln, während die Politiker zu ihr hereingeführt wurden. Elisabeth hatte für diese Zusammenkunft mit Bedacht eine formlose Umgebung gewählt, obwohl sie wusste, dass keiner der Anwesenden sich über die Bedeutung dieses Gesprächs hinwegtäuschen ließe. Aufmerksam musterte sie ihre ›Gäste‹ und blickte jeden an, als begegneten sie sich zum ersten Mal.
Zumindest versuchte sie das.
Michael Janvier, der Baron von High Ridge, war ein großer, spindeldürrer Mann mit kalten kleinen Augen und einem Lächeln, das Elisabeth stets an einen Geier oder einen anderen Aasfresser denken ließ. Sie verabscheute ihn, weil er eine isolationistische, rückwärts gerichtete, nach Machtgewinn strebende Politik betrieb, und gewöhnlich bemühte sie sich im Umgang mit ihm um Unvoreingenommenheit. Aber nicht an diesem Tag. Heute spürte sie Ariel auf ihrer Schulter zittern. Der Baumkater war hin und her gerissen zwischen dem Schmerz, den er unter der Trauer seiner Gefährtin erduldete, und dem Frohlocken, von dem der dürre Führer des Bundes der Konservativen überquoll. Am liebsten hätte Elisabeth diesen Leichenfledderer mit bloßen Händen erwürgt.
Mit den Frauen, die ihn begleiteten, verhielt es sich anders – zumindest in Bezug auf ihr Äußeres. Lady Elaine Descroix, die mit ihrem Cousin, dem Earl von Gray Hill, die Progressive Partei anführte, war eine kleine Frau, kaum anderthalb Meter groß. Sie hatte dunkles Haar und ein einnehmendes, freundliches Gesicht. Wenn Menschen ihr und ihrem Cousin zum ersten Mal begegneten, erhielten sie oft den Eindruck, Gray Hill dominierte ihre Partnerschaft, doch scharfsinnige Beobachter des politischen Parketts wussten sehr wohl, wer in Wirklichkeit die Entscheidungen traf. Einige dieser Beobachter vertraten die Meinung, dass Descroix noch unmoralischer sei als High Ridge. Je länger sich der Krieg hinzog und je mehr die Stellung der Progressiven im Unterhaus verfiel, desto verzweifelter hatte Descroix nach einem Ausweg gesucht. High Ridge hingegen hatte sich kein Kopfzerbrechen über den Machtverfall im Unterhaus machen müssen, weil der Bund der Konservativen im Unterhaus noch nie vertreten gewesen war.
Marisa Turner, die Gräfin von New Kiev, war beinahe so groß wie High Ridge, aber eine gut
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