Honor Harrington 13. Ein neuer Krieg
Allerdings wollte Helen diese Beobachtung nicht mit einem ihrer Klassenkameraden diskutieren. Ihr Vater hatte sie oft ermahnt, sich an den Baumkatzen ein Beispiel zu nehmen, die alles sahen und hörten, aber nichts sagten. Natürlich hinkte der Vergleich ein wenig, weil die 'Katzen inzwischen die Zeichensprache erlernt hatten. Andererseits sah es allmählich so aus, als hätten die 'Katzen weit mehr gesehen und gehört – und gedacht –, als selbst ihr Vater je vermutet hätte, also war die Analogie doch besser als es zuerst den Anschein hatte. Wie auch immer, für eine Midshipwoman im ersten Jahr geziemte es sich einfach nicht, ihren Mitstudenten zu erklären, dass der für ihre Teilstreitkraft zuständige Minister ein kleingeistiger, seelenloser, rachsüchtiger Kretin sei. Besonders dann nicht, wenn es stimmte.
Zuckend bildeten Helens Lippen fast ein Lächeln bei dem Gedanken daran, doch sie verbannte den Ausdruck aus ihrem Gesicht und trat beiseite, als Colonel LaFollet durch die Tür des Schießstands trat. Die grauen Augen des Waffenträgers musterten die Umgebung, mit einem Sinn für Einzelheiten der schon lange zum Instinkt geworden war. LaFollet bemerkte die hoch gewachsene, kräftige junge Frau, und seine Miene verriet, dass eine ordentlich geführte Datei in seinem Kopf sie als eine der vielen Offiziersschüler der Herzogin von Harrington identifiziert hatte. Doch ob er sie nun erkannte oder nicht – seine Augen musterten Helen mit kühler, analytischer Distanziertheit, und erleichtert erkannte Helen, dass er sie höchstwahrscheinlich nicht als eine Gefahr für seinen Schützling ansehen würde.
Helen trug Sportkleidung: die Shorts und den Leotard, die an alle Midshipwomen ausgegeben wurden. Zu dieser Uniform gehörte keine Kopfbedeckung, daher brauchte Helen auch nicht vor dem vorgesetzten Offizier zu salutieren. Doch sie nahm rasch Haltung an, bis er ihre Artigkeit mit einem Nicken quittierte. Dann ging er an ihr vorbei, und Helen nahm erneut Haltung an, als die Herzogin von Harrington hinter ihm den Schießstand betrat.
»Ms Zilwicki«, stellte die Herzogin fest.
»Hoheit«, antwortete Helen respektvoll.
Die makellose weltraumschwarz-goldene Uniform der Herzogin war einzigartig. Die Herzogin war der einzige RMN-Offizier, der ein Schulterabzeichen der Grayson Space Navy mit dem Emblem der Protectors Own Squadron trug: einem von Flammen eingehüllten Salamander. Der Grund dafür bestand darin, dass sie die offizielle Kommandeurin dieses Geschwaders war. Darüber hinaus aber war sie auch der einzige Mensch, dessen Uniformjacke je sowohl das blutrote Band des Sterns von Grayson als auch das scharlachrot-blau-weiß-gestreifte Band des Parliamentary Medal of Valour geschmückt hatte. Beharrlich hielten sich Gerüchte, dass die Herzogin von Harrington es abgelehnt habe, für ihre Führerschaft bei der Flucht von Cerberus den Tapferkeitsorden des Parlaments anzunehmen. Doch selbst wenn das stimmte: Nach dem Cromarty-Attentat hatte sie sich diesen Ehren nicht mehr entziehen können. Helen hegte den Verdacht, dass sie den Orden mit sehr gemischten Gefühlen angenommen hatte, denn Baron High Ridge, der neue Premierminister, hatte die Medienwirksamkeit der Verleihung bis aufs Letzte für sich ausgenutzt.
Helen indessen hatte die Ordensbänder schon oft gesehen, und weder die Orden noch der Baumkater, der auf der Schulter der Herzogin ritt, zogen an diesem Nachmittag Helens Aufmerksamkeit auf sich, sondern der Holzkasten, den die Herzogin bei sich trug. Solche Kästchen wurden für gewöhnlich zu einem exorbitanten Preis von Hand in kleinen Werkstätten hergestellt, die von staubigem Sonnenlicht und dem süßlichen Geruch nach Hobelspänen und Firnis erfüllt waren. Zumeist enthielten sie etwas, das unanständig teuer war. In Helen regte sich die Neugier. Sie hatte den Kasten noch nie gesehen, aber mit anderen Kadetten gesprochen, die ihn schon zu Gesicht bekommen hatten, und wusste daher, was darin lag.
Lady Harringtons ›Fünfundvierziger‹ war in der ganzen Navy berühmt – oder verrufen, je nach Standpunkt. Diejenigen, die sich an die Vorstellung klammerten, die Herzogin sei eine wandelnde Zeitbombe, eine gefährliche Irre, unfähig, zwischen der Tollkühnheit aus einem schlechten historischen HoloDrama und den Pflichten eines modernen Offiziers in der Wirklichkeit zu unterscheiden, zogen die archaische Faustfeuerwaffe als Beweis für ihre Vorurteile heran. Andere wie Helen und Anton Zilwicki
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